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«Weil alle Gefahren in uns wohnen»

Konstantin Wecker | Der bekennende Pazifist kommt am 2. Dezember mit seinem neuen Programm «Utopia 2.0 – wir werden weiter träumen» nach Bern. Er höre nicht auf, sich eine herrschaftsfreie Welt zu wünschen, so der 76 Jahre alte Poet und Musiker. In Zeiten der Kriege ist dies aktueller denn je. 

| Sonja Laurèle Bauer | Kultur
Konstatin Wecker
Poet, Musiker, Pazifist: Konstantin Wecker setzt sich besonders für den Frieden ein. Foto: Thomas Karsten

Wie der Tourneetitel verrät, handelt es sich beim neuen Programm von Kon­stantin Wecker um keine reine Fortsetzung, sondern um eine konsequente Weiterentwicklung des Programms aus dem Jahr 2021 – mit noch nie gehörten Arrangements und aktuellen Gedichten und Gedanken. Begleitet wird der Liedermacher auf seiner Reise nach Utopia vom Pianisten Jo Barnikel, der Cellistin Fany Kammerlander, dem Klarinettisten und Saxofonisten Norbert Nagel sowie dem Perkussionisten Jürgen Spitschka. 

Geblieben ist die Sehnsucht des poetischen Träumers nach grenzenlosem Frieden und Freiheit. Denn der Neofaschismus und die Remilitarisierung sind für den Pazifisten Wecker furchtbare Zeitzeichen. «Die Aufgabe der Kunst ist es, Utopien im Herzen zu bewahren und sie mit anderen Menschen zu teilen.» Ungebrochen sind Weckers unbändige Lust und Kraft, den Menschen Mut zu machen, ihre Ohnmacht zu übertrumpfen und zu sich selbst zu stehen. Schon allein deshalb ist das neue Programm Wecker pur. 

Herr Wecker, mit dem neuen Programm knüpfen Sie an Ihr erfolgreiches Programm «Utopia» von 2021 an – mit neuen Arrangements und aktuellen Texten. Stellen Sie auch neue Lieder vor?
Konstantin Wecker: Ich habe im letzten Jahr keine ganz neuen Lieder geschrieben, dafür aber viel Prosa und Lyrik. Die Gedichte kommen einfach zu mir. Je älter ich werde, desto mehr stelle ich fest, dass sie schon immer viel klüger und weiser waren als ich selbst. Ich habe mit 18, 19 Jahren Gedichte geschrieben, aber wenn ich mir heute anschaue, welch schrecklich eitles Ego ich in dieser Zeit hatte, kann ich nur dankbar sein, dass ich meiner Poesie immer treuer geblieben bin als mir selbst.

Bereits 2021 haben Sie Ihrer Vision ein Album und ein Buch gewidmet. Seitdem hat sich in der Welt vieles verändert. Unterzogen Sie Ihre Utopien einer Überprüfung?
Utopien sind ein ständiger Prozess der Suche und der kritischen Überprüfung, individuell als auch kollektiv mit möglichst vielen anderen Menschen. Aber nein, gerade im vergangenen Jahr musste ich meine Utopien nicht verwerfen. Ich bin mir heute sogar noch sicherer, dass es die Aufgabe der Kunst ist, Utopien im Herzen zu bewahren und sie an die Menschen weiterzugeben, sie zu teilen. Nach den Konzerten signiere ich meine Bücher und Platten und rede mit den Menschen. Sie danken mir, dass ich ihnen Mut mache, zu sich selbst zu stehen. Und das ist das Entscheidende an der Kunst. Als Jugendlicher bin ich von meinen Mitschülern für meine ganzen verrückten Ideen niedergemacht worden. Dostojewski und Henry Miller konnten in Worte fassen, was ich fühlte. Da habe ich mir gedacht: «Ihr könnt mich gernhaben! Ich vertraue diesen Autoren mehr als eurem Gerede.»

Die Poesie hat Ihnen also Mut gemacht, zu sich selbst zu stehen?
Ja, und nicht Ideologien hinterherzulaufen. In den 1970er-Jahren ist die anar­chische Revolution der Achtundsechziger von verschiedensten Strängen unterwandert worden: den Maoisten, der KPD/ML, den Stalinisten, den Trotzkisten. Die haben uns linken Sängern das Leben schwer gemacht und die Bühnen gestürmt, um ihr Weltbild zu verkünden. Aber mich als bekennenden Anarcho konnten sie nicht in ihr ideologisches Fahrwasser zwingen.

Wie stehen Sie zu den radikalen Aktionen der «Letzten Generation»? Kleben fürs Klima – ist das angemessen?
Unbedingt. Sie kleben sich an, lassen nicht locker, verstecken sich nicht, sie zeigen Gesicht. Unangemessen ist eher das, was die offizielle Politik und Teile der Gesellschaft derzeit tun: nämlich nichts. Völlig unangemessen ist auch der Vergleich der «Letzten Generation» mit der RAF. Das soll doch nur die Repression und Verfolgung der Klimaaktivistinnen und Aktivisten legitimieren. Natürlich liesse sich über die verschiedenen Aktionen der «Letzten Generation» diskutieren, aber ich kann die Jugend grundsätzlich verstehen. Sie hat ein Recht, sich so radikal zu engagieren bei dem, was ihr von uns alten Säcken angetan wird.

Mit Ihren Liedern begleiten Sie den gesellschaftlichen Wandel seit 50 Jahren. Mit welchen Themen und Problemen sehen Sie sich immer wieder konfrontiert?
Selbst als ich kurz nach der Wende das Lied «Sage Nein!» geschrieben hatte, dachte ich tragischerweise nicht, dass der Faschismus wieder zu einem Problem werden könnte. In den letzten 20 Jahren musste ich feststellen, dass wir nie aufhören dürfen, den grauenvollen Holocaust zu thematisieren, weil immer noch alle Gefahren in uns wohnen. Der Neofaschismus macht mir wirklich Sorgen. Als immer schon pazifistischer Mensch macht mir auch die Remilitarisierung Angst. Das alles ermutigt mich noch mehr, meine Ideen auf der Bühne unter die Leute zu tragen. Heutzutage wirst du als Pazifist tausendfach beschimpft. Ich werde trotzdem bei «Utopia 2.0» mein pazifistisches Credo und die entsprechenden Lieder singen.

Was würden Sie tun, wenn Ihr Publikum sich von Ihnen abwenden würde, weil Sie Pazifist sind?
Dann müssen die Leute mich eben verlassen. Meine Platte «Liebesflug» kam raus, als ich mit dem Lied «Willy» gerade richtig berühmt wurde. Man erwartete «Willy» in allen Variationen von mir. Ich habe dieses Lied gern gesungen und singe es bis heute gern. Aber mit «Liebesflug» kamen andere Texte zu mir, die mir auch wichtig sind. Anfang der 1980er war Punk angesagt. Ich ging mit einem Orchester auf Tour, was nicht besonders zeitgemäss war (lacht). Die Leute kamen trotz meiner Musik zu mir. Weil ich etwas zu sagen hatte! Es gab Konzerte, da hat das Publikum den Saal in Scharen verlassen. Manche entschuldigten sich später dafür.

Bis heute haben Sie für Werke von Margarethe von Trotta, Helmut Dietl, Xaver Schwarzenberger oder Oskar Roehler rund 50 Filmmusiken geschrieben. Hat Michael Verhoeven Sie für «Die Weisse Rose» ausgesucht, weil er Ihre antifaschistische Haltung schätzte?
Ja, das spielte eine Rolle. Ich durfte schon vorher für den antifaschistischen Film «Peppermint Frieden» von Marianne Rosenbaum und für Margarethe von Trotta Musik komponieren, was sehr lehrreich war. Über diese Schiene kam ich auch zu meinen Schauspiel-Engagements. In München habe ich gerade ein grosses Konzert mit meinen Filmmusiken gegeben, was sehr anrührend war. Ich hatte grossartige Regisseure wie Peter Patzak, Bernd Fischerauer, Helmut Dietl oder die Trotta.

Zu welcher Ihrer Filmmusiken haben Sie eine besonders emotionale Verbindung?
Vor allem zur «Weissen Rose». Das musikalische Thema kommt in dem Film zwar vor, aber das Lied selbst nicht. Der Verleih meinte, ein Gegenwartstext würde zu diesem historischen Film nicht passen. Aber mein Lied «Die weis­se Rose» wäre ohne die Beschäftigung mit diesem Film nicht entstanden. Auch für «Apollonia», in dem neben mir mein jüngster Sohn Tamino mitgespielt hat, als er gerade fünf, sechs Jahre alt war, habe ich Musik geschrieben. Das war sehr anrührend. In meiner Zeit als Kabelträger beim Film und später als Softpornodarsteller habe ich nur Regisseure erlebt, die brachiale Megamachos waren. Brüllende Mannsbilder, die sich ganz toll fanden.

Und wie war die Zusammenarbeit mit Margarethe von Trotta?
Mit Margarethe von Trotta zu drehen glich einem anderen Universum. Die Menschen am Set waren freundlich zueinander, und die Regisseurin sagte leise und sehr intensiv, was sie gerne hätte. Diese Art des Umgangs hat mein Verhältnis zum Feminismus geprägt. Im Gedächtnis geblieben ist mir auch der antifaschistische Film «Wunderkinder», in dem ich eine absolute Drecksau spiele: einen SS-Sturmbannführer. Diese Dreharbeiten haben mein Leben nochmals verändert. Als ich die Uniform anhatte, brauchte ich nicht zu spielen. Es war alles in mir. Nach zwei Wochen am Set war ich sauer, wenn die Komparsen mich nicht mit «Heil Hitler!» begrüsst haben. Abends habe ich meditiert und versucht, mich zu reinigen von diesem ganzen Schmutz. Ich habe gespürt: Es wohnt in uns, und wir müssen immer dran arbeiten. Darum heisst es auch in meinem «Lied an meine Kinder»: «Einen einzigen, gros­sen Wunsch hätte ich noch, da seid mit mir bitte konform. Egal was sie dir versprechen, mein Kind, trag nie eine Uniform.» 

Sie sind dieses Jahr 76 Jahre alt geworden und spielen immer noch dreistündige Konzerte
Bei der Filmmusikgala in München hätten wir eigentlich vier Stunden gebraucht, aber um Punkt zehn musste der Strom abgeschaltet werden. Also, drei Stunden bin ich weiterhin auf der Bühne. Bei «Utopia 2.0» werde ich von einer grossen Band mit zwei Schlagzeugern begleitet.

Welche der vielen «Willy»-Versionen werden Sie diesmal zum Besten geben?
In meinen Duo- und Trio-Konzerten habe ich zuletzt auf den «Willy» verzichtet. Bei meiner neuen Duo- und Trio-Tour «Die Lieder meines Lebens» werde ich den Original-Willy spielen. Und vielleicht schreibe ich bis zu «Utopia 2.0» noch eine weitere Version meiner Talking-Blues-Gespräche mit Willy. Wir werden auf jeden Fall viele Stücke spielen, die das Publikum schon kennt, aber in neuer Gestalt. Interessant ist, dass ich schon vor 30 Jahren das Wort «Utopie» in manchen Liedern verwendet habe.

Gibt es ein Lied in Ihrem umfangreichen Repertoire, das das Lebensgefühl der «Letzten Generation» bereits beinhaltet?
Ja, zum Beispiel habe ich in den 1980ern das Lied «Der Baum» geschrieben. Es war die Zeit der Proteste gegen das Waldsterben und gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf. Ich singe es ähnlich wie den «Willy» am Klavier und auf bayerisch. In dem Lied geht es um die Zerstörung des Waldes. Ich habe mich schon damals mit dem Thema Klimawandel beschäftigt, obwohl er noch nicht so stark in unserem Bewusstsein war. pd/Sonja L. Bauer

Konstantin Wecker, «Utopia 2.0 – Wir werden weiter träumen», Samstag, 2. Dezember, 19.30 Uhr, Kursaal-Arena Bern.
Tickets sind bei Ticketcorner, Coop City sowie den BLS-Reisezentren erhältlich.

www.dominoevent.ch


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