«Ich würde bleiben, wer ich bin»
Ueli Schmezer | Am 22. Oktober sind Nationalratswahlen. Ueli Schmezer, der 25 Jahre den Kassensturz moderierte, ist einer der Kandidaten. Jahrelang schrieb Schmezer Kolumnen für den «Berner Landboten». Zum Abschluss seiner Tätigkeit als Kolumnist bringt er unserer Leserschaft seine Werte näher. Er sagt: «Im Parlament braucht es Politiker, die sich wirklich engagieren und die sich den Menschen verpflichtet fühlen.»
Wenn ihn jemand auf der Strasse frage, was er jetzt eigentlich tue, drücke er ihr oder ihm einen Wahlflyer in die Hand, erzählt Ueli Schmezer (SP). Seit Februar ist er für den Nationalrat nominiert und in Sachen Wahlkampagne unterwegs. Klar, die SP sei am Ringen, doch Gegenwind sei er gewohnt. Schmezer besucht Veranstaltungen, reist durch die Lande. «Mein Kalender ist gefüllt», sagt er, «aber ich finde es spannend». Und man merkt es ihm an: An Elan und Motivation hat er seit Kassensturz-Zeiten nichts eingebüsst. Er halte keine Vorträge, sagt er, «ich will von den Menschen wissen, was sie am Politbetrieb stört, was sie mir mitgeben wollen, was sie erwarten, falls ich gewählt werden sollte. Es ist interessanter, zuzuhören statt zu referieren. Meine eigene Meinung kenne ich ja.»
Herr Schmezer, in der Deutschschweiz sind Sie ein Begriff. Aber wissen die Menschen auch wirklich, für welche Werte Sie stehen?
Ueli Schmezer: Ja, ich glaube schon. Man kann sich nicht 25 Jahre lang verstellen. Die Menschen wissen, wofür ich stehe.
Man wirft Ihnen selbst innerhalb der SP vor, als berühmter Quereinsteiger würden sie jene verdrängen, welche die Ochsentour absolviert hätten …
Das verstehe ich. Vielleicht würde ich auch so reagieren. Aber Quereinsteiger tun dem System gut. Sie bringen neue Ideen ein, sind noch nicht abgeschliffen. Ins Parlament soll, wer wirklich engagiert ist! Nicht, wer «es sich verdient hat». Und 25 Jahre Kassensturz sind auch eine Art Ochsentour, das können Sie mir glauben.
Dann komme ich gleich zum zweiten Vorwurf, den Sie wohl hören müssen: Sie sind nicht mehr der Jüngste …
Auf meiner Liste bin ich der Drittälteste. Aber ehrlich: Von allen Kriterien, einen Menschen zu beschreiben, ist der Jahrgang das Schlechteste, er sagt rein gar nichts über den Menschen aus. Mich stört unsere «Jahrgangs-Fixiertheit», sie ist eine Form von Diskriminierung, sie macht die Gesellschaft unglücklich. Warum sehen wir immer das Alter und nicht die Weisheit von Menschen, die schon eine Weile da sind? Ältere Menschen glauben deshalb selber schon, sie seien überflüssig. Ihnen möchte ich sagen: «Lasst euch nicht in Klischees pressen, lasst euch das nicht einreden!» In den Büchern meiner Kindheit haben übrigens die jungen Krieger stets die Stammesältesten befragt, bevor sie das Kriegsbeil ausgruben (schmunzelt).
Sie werfen anderen Politikerinnen und Politikern vor, nicht wirklich für die Menschen da zu sein. Was meinen Sie damit?
Wir haben zu wenig echte Volksvertreterinnen und -vertreter im Parlament. Unser politisches System orientiert sich sehr stark an den Forderungen und Bedürfnissen der Wirtschaft. Lassen Sie mich erklären: Unsere Gesetzgebung ist so ausgelegt, dass alle Meinungen gehört werden. Die Botschaft des Bundesrates zu einem neuen Gesetz kann Hunderte Seiten umfassen. Darin dürfen alle Wirtschaftsverbände sagen, was ihnen wichtig ist. Warum also sollen deren Vertreter auch noch im Parlament und in den Kommissionen sitzen? Die Wandelhalle ist ja auch schon voll mit ihren Vertretern und Lobbyisten.
Sie möchten als Konsumentenschützer ins Parlament?
Für mich wäre die Arbeit im Parlament die logische Fortsetzung meiner Tätigkeit als «Kassenstürzer». Ich möchte mich für die «normalen» Leute einsetzen. Für diejenigen, die Tag für Tag aufstehen und zur Arbeit gehen und Geld haben, solange sie arbeiten. Und die hoffen, dass ihnen nach der Pensionierung noch etwas bleibt zum Leben. Für diese Menschen möchte ich einstehen. Ich mag nicht mithelfen, jene, die eh schon reich sind, noch reicher zu machen. Ich meine, was haben ein Bankvertreter oder eine Milliardärin im Parlament verloren?! Warum braucht es einen Krankenkassen-Verwaltungsratspräsidenten in einer Kommission, die über Fragen diskutiert, die Krankenkassen betreffen? Also excusez, die müssten doch zumindest in den Ausstand treten.
Nun zum Musiker Ueli Schmezer. Sie möchten eine Stimme für Kulturschaffende im Parlament sein?
Ja, es gibt keine einzige kulturschaffende Person im Parlament, aber 26 Bauernvertreter. Ich schätze Landwirtinnen und Landwirte sehr, trotzdem ist dies ein Missverhältnis. Ich bin der Meinung, dass Kulturschaffende besser repräsentiert sein müssen, das zeigte sich auch während der Pandemie. Viele Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben keine Ahnung von den Lebensentwürfen Kulturschaffender. Die sagten dann in der Pandemie Dinge wie: «Wenn’s bei dir nicht mehr läuft, stimmt wohl dein Businessmodell nicht.» Wir brauchen eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz für Kulturschaffende. Mein Gitarrist wird immer wieder gefragt: «Und was machen Sie beruflich?» Das finde ich jenseits.
Vielleicht ist ein gewisser Neid da?
Das kann sein. Der Neid auf Menschen, die nicht das Materielle in den Vordergrund stellen, sondern einen anderen Lebensplan verfolgen und dadurch vielleicht ein erfüllteres Leben leben.
Sie haben die Bauern angesprochen. Wie ist Ihre Haltung gegenüber der Landwirtschaft?
Ich bezweifle vor allem, dass die Landwirtinnen und Landwirte durch ihre politischen Vertreter wirklich gut vertreten sind. Ich kenne viele fortschrittliche, innovative Bäuerinnen und Bauern, die eine nachhaltige Landwirtschaft betreiben wollen und sich wohl kaum dafür begeistern können, dass der Bauernverband mit den Wirtschaftsverbänden zusammenspannt. Bauern sind die Experten für unsere Böden, für die Basis unserer Lebensmittelversorgung. Sie wissen, dass wir zu den Böden viel mehr Sorge tragen sollten.
Ein Gedanke zu den Krankenkassen?
Prämienverbilligung ist wichtig, aber nur die eine Seite. Wir müssen auch die Kosten in den Griff kriegen. Ein Vorschlag bezüglich Medikamentenpreise: Krankenkassen sollen Medikamente, die wir im Ausland kaufen, bezahlen. Das würde die Preise der Medikamente, die in der Schweiz verkauft werden, unter Druck setzen. Und natürlich wären einkommensabhängige Prämien eine gute Idee. Das hat kürzlich auch der Berner Gesundheitsdirektor durchblicken lassen …
Ein Gedanke zur Altersvorsorge?
Die AHV ist sozialer als die Pensionskasse. Mit der BVG-Revision wollen vor allem die Pensionskassen-, die Versicherungs- und die Finanzbranche ihr Geschäft retten; sie schauen nur für sich. Mehr bezahlen und weniger dafür bekommen – das geht aus Sicht der Angestellten gar nicht. Auch da hat man die Menschen veräppelt. Die Bevölkerung hat Ja gesagt zum höheren Rentenalter für die Frauen, weil eine Besserstellung in der Pensionskasse versprochen wurde. Die Bürgerlichen im Parlament haben dieses Versprechen gebrochen. So zu politisieren, finde ich höchst unanständig! Wir müssen die AHV stärken, jeder Franken mehr in der AHV ist sozial gut angelegt.
Zum Klima?
Ich frage mich, warum wir nicht alle permanent höchst alarmiert sind! Die Klimakrise ist da. Das Problem ist wohl, dass wir die gesamten Auswirkungen der Krise nicht aufs Mal erkennen können. Wir spüren sie offenbar noch zu wenig. Wenn sie wie ein landesweites Erdbeben über uns hereinbrechen würde, würden wir wahrscheinlich entschlossener handeln. Das ist fatal.
Während der Wahlkampagne fragen Sie Ihr Publikum, was es von Ihnen erwartet. Was erwarten die Menschen von Ihnen?
(schmunzelt) Dass ich so bleibe, wie ich bin. Das kann ich versprechen. Wenn ich tatsächlich gewählt würde, wäre ich ein sehr unabhängiger Parlamentarier. Ich wäre einer, der nicht in den Bundesrat gewählt werden will. Ich müsste nicht gefallen, weil ich ein Amt anstrebe. Ich könnte also problemlos so politisieren, wie die Leute dies von Ueli Schmezer erwarten.