Eine volle Geschichte
Vergangenheit | Ein Blick in die (Kultur-)Geschichte des Menschen zeigt: Obschon Alkohol ein Gift ist, begleitet er die Menschen durch alle Zeiten.
«Eine kurze Geschichte der Trunkenheit. Der Homo alcoholicus von der Steinzeit bis heute.» So lautet der Titel eines Texts von Mark Forsyth aus dem Jahr 2021. Darin zeigt der Autor anhand bestimmter historischer Momente auf, welche Bedeutung der Alkohol für die Menschen hatte. Und diese Bedeutung begann nicht erst in der Neuzeit.
Evolution
Vor rund vier Milliarden Jahren begann das Leben auf der Erde, in Form einzelliger Mikroben. Diese ernährten sich von Einfachzucker und schieden Kohlendioxid und Ethanol – sprich Alkohol – aus.
Daraus entstanden im Laufe der Zeit andere Lebensformen, beispielsweise Bäume und Sträucher. An diesen wuchsen Früchte. Sobald diese verfaulten, gärten sie auf natürliche Weise. Dabei entstanden Zucker und Alkohol. Vielleicht ist der Mensch als Spezies dem Alkohol deshalb nicht abgeneigt, weil er uns früher eben anzeigte, wo Zucker und damit einhergehend überlebenswichtige Energie ist. Dieses Phänomen trägt heute den Namen Aperitif-Effekt. Geschmack und Geruch von Alkohol regen bei vielen Menschen den Appetit an.
Charles Darwin beobachtete unter vielem anderem auch, wie sich betrunkene Affen verhalten. Seiner Ansicht nach verhielten sich diese nicht viel anders als Menschen. Diese Überlegung war für ihn ein weiterer Hinweis dafür, dass Menschen mit Affen verwandt sind.
Urzeit
Ob vor 25 000 Jahren, bei unseren urzeitlichen Vorfahren, Alkohol bewusst hergestellt wurde, lässt sich kaum beantworten. Verschiedene Theorien lassen dennoch einen gewissen Alkoholkonsum vermuten.
Eine davon hat mit Honig zu tun. Angenommen, ein Baum stürzte wegen eines Sturms um. Am Baum befand sich ein Bienennest. Lag dieses nun am Boden, regnete es rein und das Wasser mischte sich mit dem Honig. Nach ein paar Tagen fermentierte die Mischung, und das Ergebnis war natürlicher Met. Ein vorbeigehender Mensch freute sich primär wohl eher über die angenehme Süsse des Honigs. Doch nahm er gleichzeitig Alkohol zu sich.
Eine andere Theorie hält die bereits frühe Bedeutung von Alkohol fest. Sie spielte sich in Sumer ab, der Region zwischen dem heutigen Bagdad und dem Persischen Golf. Rund viertausend Jahre vor Christus entstand dort die Schriftlichkeit. Und das aus einem einfachen Grund. Bauern erhielten für ihre Produkte etwas, man handelte also. Dabei entstand unüberraschenderweise oftmals Streit. Um das zu verhindern, hielten die Leute schriftlich fest, wer wem wie viel schuldete. Und weil sich die Menschen damals mit Gerste, Gold oder Bier bezahlten. Anders gesagt war etwas vom Ersten, worüber Menschen geschrieben hatten, Alkohol.
Altes Ägypten
Im alten Ägypten feierten die Menschen das Festival der Trunkenheit. Dies geschah zu Ehren des Gottes Re. Gemäss einem Mythos hatten die Menschen nämlich Negatives über diesen gesagt, was ihn verständlicherweise wütend machte. Deshalb schickte Re eines seiner Kinder, die Göttin Bastet, los, um die Menschheit zu bestrafen. Weil Bastet aber zu wild herumwütete und die Menschheit auszurotten drohte, empfand Re Mitleid mit den Menschen und wollte ihnen helfen. Weil Bastet sich nicht aufhalten liess und nach Blut lechzte, machte Re 7000 Fässer Bier und färbte dieses rot. Danach verteilte er es über die Felder. Bastet fiel auf den Trick herein. Sie dachte, es sei Blut, und sie begann es zu trinken. Dementsprechend wurde sie schnell müde und vergass, dass sie Menschen umbringen wollte. Sie schlief ein. Die Menschheit war gerettet.
Dieser Mythos erklärt vielleicht auch, warum die alten Ägypter Alkohol häufig mit dem Ziel tranken, um betrunken zu werden. Am Festival der Trunkenheit ging das so weit, dass die Menschen sich regelmässig übergeben mussten. Das gehörte aber zum guten Ton, schliesslich hatte man dann wieder Platz im Magen, um weiterzutrinken. Letzten Endes standen bei dieser Festivität Essen, Trinken und Sex im Fokus.
Antikes Griechenland
Auch im antiken Griechenland tranken die Menschen viel Alkohol. Anstelle von Bier schlürften sie lieber verdünnten Wein. Und wer etwas auf sich hielt, der musste Wein trinken. Ein tugendhaftes Leben stand im antiken Griechenland über allem. Die vier wichtigsten Tugenden waren die Gerechtigkeit, Weisheit, Tapferkeit und Mässigung. Platon selbst schrieb, dass ein tugendhafter Mann trainieren müsse, sich auch betrunken anständig zu verhalten. Wer sich im betrunkenen Zustand selbst beherrschen könne, sei ein idealer Mann.
Das zeigte sich bei den Symposien, sprich Trinkgesellschaften. Bei diesen betrank man sich mit voller Absicht. Wer nicht mitmachte, der galt als unhöflich und unmännlich. Die Intensität der Alkoholtrinkerei hing immer davon ab, was der Gastgeber wünschte. Er bestimmte, wie viel am Abend getrunken werden musste.
Altes China
Auch im vorchristlichen China wurde viel getrunken. Weil Alkohol das Verhalten der Menschen nicht nur positiv beeinflusste, verboten die Regierenden mit verschiedenen Proklamationen den Konsum von Alkohol, oder schränkten diesen zumindest ein. Doch es wurde weitergetrunken.
Konfuzius überlegte sich dann eine Lösung: Menschen brauchten Rituale und Zeremonien.
So führten die Herrscher ein Ritual ein, das beim Trinken von Wein einzuhalten war. Während eines gemeinsamen Abends mussten sich Gäste und Gastgeber in Form von Trinksprüchen immer wieder gegenseitig loben und bedanken. Dadurch hatten sie erstens weniger Zeit zu trinken, und zweitens brachte das die Menschen bestenfalls näher zusammen.
Interessanterweise steht das chinesische Wort jiu übrigens gleichsam für Wein und Bier. Hier liegt die Vermutung nahe, dass die alten Chinesen nicht wirklich darauf achteten, was sie tranken.
Bibel
Auch in der Bibel spielt Alkohol immer wieder eine Rolle. Beispielsweise pflanzte Noah als erste Amtshandlung nach der Sintflut einen Weinberg. Als er danach einen über den Durst trank, mussten seine Kinder ihn mit Kleidung zudecken, da Noah betrunken und nackt herumlag.
Oder Lots Töchter: Diese hatten keine eigenen Männer, wollten aber schwanger werden. Nachdem ihr Vater also betrunken in einer Höhle eingeschlafen war, hatten sie nacheinander Sex mit ihm.
Und auch bei Geschichten über Jesus zeigt sich die Bedeutung von Alkohol. Schliesslich bestand sein erstes Wunder darin, Wasser in Wein zu verwandeln.
Altes Rom
Grundsätzlich versuchten es die Römer, mit ihrem Alkoholkonsum nicht so zu übertreiben, wie es ihrer Ansicht nach die Griechen taten. Erst als Rom zu einem Weltreich wurde, verhielten sie sich weniger strikt in Sachen Alkohol. Mit dem steigenden Reichtum Roms stieg auch die Dekadenz der Römer, und Wein diente den Reichen zu zeigen, dass sie reich waren. Wollten die Ärmeren vom Reichtum der Bessergestellten profitieren, nahmen sie am Convivium teil, einem Art Bankett.
Wer eine Einladung zu einem solchen Abendessen bekommen hatte, begab sich davor am Nachmittag in eine Sauna, um sich möglichst stark zu dehydrieren. So war es abends möglich, mehr zu trinken und dadurch vermeintlich Stärke zeigen zu können.
Das Convivium diente eigentlich dazu, Schlechtergestellte öffentlich zu demütigen. Allein bei der Sitzordnung war den Teilnehmern schon klar, ob sie zu den Minderwertigen gehörten oder nicht. Die Gastgeber des Abends erhielten natürlich nur den besten Wein und das beste Essen. Die vermeintlich minderwertigeren Gäste hingegen bekamen schlechteres Essen und Trinken auf den Tisch. Trotzdem mussten sie sich vor allen Gästen beim Gastgeber höflich für das Essen bedanken. Hierin bestand der Moment der Demütigung.
Mittelalter
Mussten die Germanen politische Entscheidungen treffen, machten sie das in betrunkenem Zustand. Ihrer Ansicht nach war man betrunken nämlich am ehrlichsten. Das bedeutet aber nicht, dass alles immer höflich zu- und herging. Einige barbarische Stämme im Mittelalter zogen von Siedlung zu Siedlung, überfielen Menschen, tranken deren Wein weg und brannten die Weinberge nieder.
Nicht wenige Menschen entschieden sich vielleicht auch deshalb für ein Leben im Kloster. Dort konnten sie mehrheitlich in Sicherheit leben.
Obschon in vielen Klöstern strikte Regeln zu befolgen waren, tranken die Menschen dort nicht zwangsläufig weniger Alkohol. Der heilige Benedikt gründete im sechsten Jahrhundert zwar Klöster und stellte Regeln bezüglich des Alkoholkonsums auf. Doch die Regeln liessen einen nicht kleinen Spielraum offen. Grundsätzlich sollte jeder nur eine gewisse Menge Wein pro Tag erhalten. War es draussen aber heiss, oder musste viel körperliche Arbeit geleistet werden, konnte die Menge nach oben angepasst werden. Das lässt sich auch damit erklären, dass die Leute in den Klöstern auf Wein angewiesen waren, weil sie über keine saubere Wasserquelle verfügten.
Wikinger
Der oberste Gott der nordischen Mythologie, Odin, trank ausschliesslich Wein. Kein anderes Getränk war für Wikinger so teuer. Alkohol gehörte für sie in jeden Lebensbereich und war gleichzusetzen mit Autorität. Deshalb bestand die erste Pflicht eines Fürsten immer darin, dafür zu sorgen, dass seine Krieger genug Alkohol zu trinken bekamen.
Die nordische Mythologie erklärt sogar Naturphänomene mit Alkohol. Odins Söhne, Loki und Thor, forderten einander gerne heraus. So zum Beispiel zu einem Trinkwettstreit. Thor behauptete, ein Horn aus Bier locker trinken zu können. Loki verzauberte dieses, damit es mit dem Meer verbunden war. Weil Thor so viel trank, sank der Meeresspiegel. Die Gezeiten waren entstanden.
Bereits dieser kurze Überblick über vergangene Zeiten zeigt, welch zwiespältiges Verhältnis Menschen zu Alkhol haben.