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Künstliche Intelligenz und Kultur

Thun | Künstliche Intelligenz (KI) wälzt sich über viele unserer Lebensbereiche, auch über die Kunst. Deshalb stand das diesjährige Thuner Kulturforum ganz im Zeichen der KI.

| Thomas Abplanalp | Kultur
Die Stadt Thun
Erstellt in zehn Sekunden mit dem Prompt: «Hübsche Stadt Thun». Bild: deepai.org/ta

 «Es mischen sich Faszination und Schrecken», erklärte die Thuner Gemeinde­rätin Katharina Ali-Oesch einleitend im KKThun. Künstliche Intelligenz sei bereits heute ein Begleiter im Alltag. Vor allem beim Smartphone liegt diese Tatsache auf der Hand. Kaum eine App funktioniert ohne KI. Doch «das Ausmass der Auswirkungen der KI können wir uns heute nicht vorstellen», so Ali-Oesch weiter. Die drei darauffolgenden Referierenden zeigten anhand konkreter Beispiele, wie sich KI bereits heute auf die Kunst auswirkt.

Früh übt sich

Die Kunsthistorikerin und Kuratorin Marlene Wenger wies darauf hin, dass bereits in den 1960er-Jahren automatisierte Kunst entstanden sei. Frieder Nake gilt als einer der ersten, der Computer für seine Kunst verwendet hat. Obschon die damals entstandenen Kunstwerke aus Laiensicht teilweise eher wie ein Gekritzel aussehen, machen sie doch deutlich, wie weit Menschen die Möglichkeiten der KI entwickelt haben. 

Gemäss Wenger helfe KI auch im Kunstbereich, «effizienter und konkurrenzfähiger» zu sein. Dennoch stelle sich die Frage, ob KI über Kreativität verfügt oder nicht. Ihrer Ansicht nach gelten Intuition und Inspiration als notwendige Bedingungen von Kreativität. Durch diese entstünde etwas «Neues, Überraschendes, Wertvolles». KI ihrerseits basiere auf Mustererkennung, arbeite mit Wahrscheinlichkeiten. Daraus folgerte Wenger die Frage, ob der Ausdruck künstliche Intelligenz nicht eher erweiterte Intelligenz heissen sollte. Schliesslich programmierten Menschen die KI, und die Daten, anhand derer KI-Anwendungen lernen, kämen von Menschen. Oder wie Wenger sagte: «Hinter künstlicher Intelligenz steckt menschliche Intelligenz.» 

Individueller Ausstellungsraum

Der Konzeptkünstler Jonas Wyssen schafft bereits seit einigen Jahren Kunst mithilfe von KI. Wie er selbst sagte, thematisierten seine Werke die Beziehung zwischen Mensch und Maschine. Mit «Da Vinci Robot» wollte er mithilfe von Maschinen Bilder mit Maschinen kreieren. Zu diesem Zweck wählte er technologisch weit fortgeschrittene humanoide Roboter aus und liess diese durch eine KI, die auf Da Vincis Schaffen spezialisiert ist, im Stile Da Vincis zeichnen. 

Die Ergebnisse lassen sich sehen. Ein Porträt beispielsweise erinnert stark an Da Vincis Mona Lisa, mit dem Unterschied, dass darauf ein asiatischer humanoider Roboter zu sehen ist. Die vermeintliche Person auf dem Porträt sieht also nicht gleich aus wie die Mona Lisa, aber das Lächeln kommt, zumindest aus Laienperspektive, jenem der Mona Lisa sehr nahe. Und das, obwohl auf dem Portrait «nichts Menschliches» zu sehen ist, wie Wyssen sagt. 

Zwar generierte letzten Endes eine KI das Gemälde, doch eine Herausforderung seitens Künstler bestehe gemäss Wyssen darin, die richtigen Prompts, sprich Aufträge, an die KI zu geben. Mit dem mittlerweile bekannten Programm Midjourney gelang es ihm erst nach stundenlanger Arbeit, ein Gemälde erschaffen zu lassen, das an Claude Monets impressionistischen Sonnenaufgang erinnert. Auch hier könnte ein Laie auf den ersten Blick dazu tendieren, das Kunstwerk Monet zuzuschreiben. Bei genauerem Hinsehen lässt sich neben der aufgehenden Sonne aber noch etwas anderes im Himmel feststellen, nämlich eine startende Rakete. Wyssen sieht in dieser Rakete ein Symbol für die neue Zeit, die Aufbruchstimmung, die durch KI entstanden ist. 

Doch mit KI entsteht nicht nur Kunst. KI kann auch dabei helfen, diese in Szene zu setzen. Während Kunstschaffende für ihre Werke bisher passende Galerien, Museen oder andere Ausstellungsorte suchen mussten, können heute Ausstellungsorte für digitale Kunst in digitalen Gefilden selbst erschaffen werden. Wyssen erschuf für seine Werke «Aigeria», ein digitaler Ausstellungsort, der an ein Wüstengebiet Algeriens erinnert. So hängt ein Werk beispielsweise an der Wand eines Betonbaus, umgeben von Sand und Trockenheit. Wyssen wolle damit zeigen, dass selbst wenn alles ringsherum an Vergangenes erinnere, die Kunst es sei, die bleibe. 

Digitale Musik

Als Direktor der Fondation Suisa kennt sich Urs Schnell mit den Entwicklungen im Musikmarkt bestens aus. Anhand verschiedener Beispiele zeigte er, wie einfach jeder und jede eigene Musik durch eine KI komponieren, spielen und singen lassen kann. In einem ersten Schritt liess Schnell von einer KI einen lyrischen Text schreiben, indem er ihr den Namen der Veranstaltung, sprich Thuner Kulturforum 2024, vorgab. Die KI machte ausgehend davon einen Songtext, der sich vor allem auf Berge und Seen bezieht. Diesen Text speiste Schnell in eine andere KI, wählte noch einen Musikstil aus und wenige Sekunden später konnte er das fertige Lied anhören. Das KI-generierte
Lied klang – Vorsicht Laienperspektive – nicht viel unorigineller als viele Popsongs in den Charts. 

Dennoch war es Schnell wichtig zu betonen, dass KI seiner Ansicht nach nicht klüger sei als Menschen. Man vergleiche hier Äpfel mit Birnen. «Wenn ich mit einem Rennbike fahre, stört es mich ja auch nicht, wenn ich von einem
E-Bike überholt werde», so Schnell. 

Abgesehen von künstlerischen Fragen müsse auch gesehen werden, dass Musik nebst einem Kulturgut auch eine Handelsware, also einen ökonomischen Wert habe. Kleinere Musikproduktionen, zum Beispiel Jingles oder Fahrstuhlmusik in einem Hotel, könnten durch KI bereits heute kostengünstiger produziert werden. 

Doch KI könne auch dabei helfen, Geld zu verdienen, was gerade für die Streamingdienste ein grosses Problem darstelle. Gewisse KI-Programme basieren auf drei unterschiedlichen KI-Anwendungen. Eine davon komponiere selbstständig Musik, eine andere lade diese automatisch auf Streamingdienste hoch, während die dritte diese hochgeladene Musik immer wieder anklickt. Einmal programmiert, erledige diese
KI das alles von selbst und könne dadurch Geld generieren, da jedes abgespielte Lied auf Spotify dem entsprechenden Kunstschaffenden einen geringen Betrag bezahlt. Je mehr Klicks zustande kommen, desto mehr Geld kommt zusammen. 

Vieles bleibt unklar

Auch während des anschliessenden Podiumsgesprächs mit den drei Referierenden wurde klar, dass noch nicht alles klar ist. Bei KI-generierter Kunst gelte es – gerade auch aus finanziellen Gründen – zu klären, wer denn nun die Urheberrechte besitze: der Mensch, der die Prompts eingibt? Die KI? Die Programmierer der KI? Niemand? Ähnliches gilt für den Stellenwert der KI. Soll sie als Künstlerin gesehen werden? Als Mitarbeiterin? Als Werkzeug? Und bezogen auf Kunstrezeption stellt sich die Frage, wie sich diese ändern wird. Verschiebt sich der Wert von menschengemachter Musik vollständig auf Konzerterlebnisse? Wie ändert sich die Bedeutung von Kunstgalerien? Welchen Wert geben wir menschengemachter Kunst, wenn KI diese ebenfalls herstellen kann?


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