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Kotwurf und Staubwirbel

Geschichte | Ein Blick in die Verkehrsvergangenheit zeigt: Auf der Strecke Bern–Thun lief und fuhr nicht immer alles glatt. Das veranschaulichen Peter Stettler und Peter Wälti in ihrem Text «Der Verkehr als Triebfeder der Entwicklung».

| Thomas Abplanalp | Kultur
Menschen beim Strassenbau
Erste Teerung der Strasse unterhalb des Schwand (ca. 1927). Bild: zvg

Bereits in der vorrömischen Zeit benutzten Menschen Pfade im Aaretal. Davon ist zumindest auszugehen, weil damals schon Saumwege über die Alpen­pässe führten. Und wenn Wege in unliebsamem, bergigem Gelände bestanden, so wohl auch im Aaretal. 

Zur Zeit der Römer fungierte das Aaretal aber nicht als Transitachse. Die Römer zogen Wege um die Alpen den Wegen über die Alpen vor. Das Aaretal hatte für sie also keine allzu grosse Bedeutung. Dennoch war die Aarestrecke zwischen Bern und Thun gut besiedelt, wobei den Strassen ein solider Unterbau fehlte. Auf den Untergang der römischen Herrschaft folgte eine Zeit, in der zwar kaum neue Wege entstanden, zwischen grösseren Orten und Marktplätzen aber weiterhin fahrbare Wege bestanden. Vor allem zwischen Klöstern und Städten verkehrten viele Leute. 

Die Strasse durch das Aaretal über Münsingen trägt in der ältesten noch vorhandenen schriftlichen Überlieferung von 1321 den Namen «strada publica». In späteren Überlieferungen heisst sie auch «Bernstrasse». Neben dieser Strasse führte ein zweite von Bern nach Thun, durch das Gürbetal entlang der Westflanke des Belpbergs.

Reklamationen als Zeitzeugen

Boten und andere Reisende von damals würden ihren Augen wohl nicht trauen, könnten sie heutige Strassen sehen und benützen. Während Stras­sen heute aus verschiedenen funktionalen Schichten bestehen, glichen Strassen damals eher breiten Feldwegen. Aber keinen Feldwegen, wie sie heute in der Schweiz zu finden sind. Unebenheiten und Löcher prägten die mittelalterlichen Wege. Auch eingewachsene Büsche sprossen in grosser Fülle aus den Strassen. 

Vor allem die Obrigkeit störte sich an den unbequemen Verbindungen zwischen den Siedlungen. Dank Reklamationen in Briefform ist der damalige Zustand der Strassen überhaupt schriftlich überliefert. 

Aufgrund der Reklamationen mussten Münsingen und umliegende Dörfer 1479 die Wege in ihrer Nähe verbessern. Das geschah häufig durch Geäst und Steine, mit denen die Bevölkerung die Schlaglöcher füllte. Grundsätzlich lag die Verantwortung für den Strassen­unterhalt bei den Anstössern und Anstössergemeinden. Wer direkt an der Strasse wohnt, so die Annahme, benützt sie vermutlich auch am meisten. 

Pendler vergangener Zeiten

Die Strassen dienten vor allem dem Warentransport. Häufig lagen die Waren verstaut auf einem zweirädrigen Karren, gezogen von Maultieren. Die Verantwortung für den Transport lag beim Fuhrmann. Aber auch Boten und andere Reisende nutzen die Verbindungsstrassen, entweder zu Fuss oder zu Pferd. Der Strassenzustand machte ein bequemes Reisen in Fahrzeugen eigentlich unmöglich, zumal gefederte Kutschen erst später aufkamen. Dazu kam, dass nicht wenige umstürzende Kutschen Todesopfer forderten. 

Neben potenziellen Unbequemlichkeiten und Gefahren passierten Reisende verschiedene Zollstellen. Zölle und Brückenübergänge stellten eine wichtige Einnahmequelle für den Staatshaushalt dar. Einige Gemeinden wählten jedoch einen unkomplizierten Weg und kauften sich pauschal von diesen Abgaben los, wie ein Vertrag aus dem Jahr 1561 zwischen Langnau und Münsingen bezüglich der Ilfisbrücke zeigt. 

Die Benützung der Strassen erfolgte jedoch nicht immer freiwillig. Aufgrund einer Weisung der Obrigkeit von 1546 waren alle Haushalte dazu verpflichtet, mindestens eine Person an jede Predigt zu schicken. Die Pfarrer fungierten sozusagen als geistliche Landvögte. Sie verlasen in ihren Predigten nämlich amtliche Verlautbarungen. Nicht wenige Bürgerinnen und Bürger mussten bis zur nächstgelegenen Kirche mehr als sechs Kilometer gehen. Deshalb verbanden viele von ihnen mit dem Kirchgang Geschäfte und andere Besorgungen. 

Das Pferd galt bis Anfang des 19. Jahrhunderts als das schnellste Transport- und Kommunikationsmittel. Dementsprechend befanden sich an Wegrändern immer wieder Postdienste und Pferdewechselstationen. Dort konnten sich Reiter und Reittiere erholen, oder die Reiter wechselten schlichtweg das Pferd. 

Kutschen und Brücken

Nachdem Friedrich Gabriel Zehender im Ausland die Kunst des Strassenbaus erlernt hatte, schlug er verschiedene Änderungsmassnahmen für den Stras­senbau in der Region Bern vor. Ab 1743 begann die Verbesserung der einzelnen Strassenabschnitte, teilweise finanziert aus einem Staatsfonds. So erhielt Bern eines der besten Strassennetze Europas. Die Bern-Thun-Strasse allerdings erhielt keine Staatsbeiträge. Doch die Obrigkeit beaufsichtigte zumindest den Ausbau.

Aufgrund der besseren Strassen veränderte sich auch der Reiseverkehr. Ab 1778 verkehrte beispielsweise neu eine Postkutsche auf der Bern-Thun-Strecke, mit einer Pferdewechselstation in Münsingen. Die Kutsche bot neben dem Kutscher Platz für sechs Reisende mit jeweils bis zu rund 15 Kilogramm Gepäck. 

Ein Hindernis stellte jeweils die Überquerung der Aare dar. Zuerst fuhren Fähren Passagiere von einer Seite auf die andere. Aufgrund verschiedener Unfälle auf den Fähren begann im 19. Jahrhundert der Bau verschiedener Brücken über die Aare. Den Anfang machte die Brücke beim Thalgut 1834. 

Viel Wirbel

Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die ersten Autos durch die Strassen fuhren, weckte das bei vielen Unbehagen. Einerseits aufgrund der Unfallgefahr und andererseits aufgrund der Tatsache, dass sich vor allem die Reichen Autos leisten konnten. Doch erst 1914 genehmigte der Bundesrat ein Konkordat. Dieses gab eine Höchstgeschwindigkeit für Autos vor, sie durften nicht schneller fahren als ein trabendes Pferd unterwegs war, also ungefähr 18 km/h. 

Abgesehen von der Sicherheit sollte diese Beschränkung auch verhindern, dass das Publikum durch «Kotwurf oder Staubwirbel» belästigt wird. Gerade auch saubere Wäsche an der Leine oder auch Pflanzen und Hecken litten nämlich stark unter der Staub­entwicklung durch die Autos. 1925 sorgten bereits 30 Autos in Münsingen für Aufsehen. Und Schmutz. 

Den Gemeinden fehlten aber häufig die Geldmittel. Deshalb bespritzten sie die Kiesstrassen täglich mit Wasser. Später rollten sie mit schweren Walzen darüber. Die Oberflächenbehandlung mit Bitumenemulsion oder Heissteer gelang aufgrund der Rationierung während des Zweiten Weltkriegs nur selten. Dafür wurden aufgebrochene Asphaltbeläge für die Widerverwendung aufbewahrt. Den ersten Deckbelag erhielt die Staatsstrasse durch Münsingen 1922. Ein Jahr später folgte die Teerung der Strasse von Münsingen nach Wichtrach. 

Unvermeidliches Schicksal

Der wachsende Verkehr belastete Münsingen aber zunehmend. Auch die Behörden sahen das Problem nach einer Vielzahl von Unfällen. Also liessen sie die Strassen ausbauen. Doch dadurch stieg die Geschwindigkeit der Autos auf der Strasse noch mehr. Die Gefahr stieg. 

Die Bevölkerung verlangte deshalb vom Regierungsrat ein Überholverbot im Dorfbereich. Dieser lehnte jedoch mit der Begründung ab, dass in der Verordnung des Bundes über Strassensignalisation kein solches Signal existierte. Auch lehnte der Regierungsrat eine Geschwindigkeitsregulierung ab. Ein möglicher Tod auf der Strasse galt als «unvermeidliches Schicksal». Die Breite der Strasse zwischen Bern und Thun betrug 1954 neun Meter. 

Erst nach mehreren schweren Unfällen wurde die Dreispurstrecke zwischen Münsingen und Wichtrach, die «Todesstrecke», zweispurig markiert.

Die Autobahn kommt

Nachdem der Bund aufgrund einer angenommenen Vorlage 1958 die Kompetenz erhalten hatte, ein Netz von Nationalstrassen zu errichten, folgte der Bau der Autobahn zwischen 1969 und 1972. In der Folge fuhren weniger Autos durch Münsingen, doch der Verkehrslärm stieg. Auch der Bau der Autobahn sorgte also nicht nur für Freude. 

Zug um Zug

Der Berner Regierungsrat stellte das Thema Eisenbahn möglichst lange auf das Abstellgleis. Aufgrund der notwendigen Heizenergie für die Lokomotiven befürchtete er einen Raubbau an den Wäldern und einen Preissturz für lokale landwirtschaftliche Erzeugnisse. Schliesslich ermöglichten Züge die Lieferung billigerer Produkte. 

1852 beschäftigte sich der Regierungsrat dann mit dem Bau und Betrieb von Eisenbahnen, weil das im selben Jahr erlassene Bundesgesetz ihm diese Verantwortung übertragen hatte. Nur sieben Jahre später rollte die erste Dampfeisenbahn von Bern nach Thun. 

Aufgrund unvorhergesehener Ereignisse wie Baumstürze traten Bahnwärter ihre Arbeit an. Während ihren rund 16-Stunden-Arbeitstagen mussten sie vor der Durchfahrt jedes Zugs eine Strecke von zweieinhalb Kilometern ablaufen und dabei mindestens eine Barriere bedienen. Als Schutz vor der Witterung diente ihnen höchstens ein kleines Wärterhäuschen. 

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts folgte die Eröffnung des Simplontunnels und der Bern-Lötschberg-Simplon-Strecke. Die Strecke Bern–Thun gewann dadurch an Bedeutung für den internationalen Durchgangsverkehr. Das damit gesteigerte Verkehrsaufkommen verlangte ein zweites Gleis. 1921 fuhr der erste Zug über dieses. 

Weil während des Ersten Weltkriegs die Kohlenimporte gesunken waren und eine Umstellung auf Holzfeuerung angezeigt war, sank die Fahrfrequenz. Um den Betrieb aufrechterhalten zu können, ging es also darum, die Elektrifizierung zu beschleunigen. Bereits 1919 fuhr die erste elektrische Lokomotive dann durch Münsingen. 

Viele Leute in Münsingen bemängelten den Fahrplan jedoch jahrelang. Zwischen 1950 und 1975 trat eine Besserung ein. Ein Grund dafür könnte Hugo Gschwind gewesen sein, der damals erst die Funktion des SBB-Generaldirektors innehatte und dann Präsident der SBB-Generaldirektion war. Er lebte zu jenem Zeitpunkt nämlich in Münsingen und war auf gute Zugverbindungen angewiesen.

 


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