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Wald und Wolf

Berner Waldbesitzer | Die «Motion Aebi» wurde durch den Grossen Rat angenommen. Es stosse aber bitter auf, wenn durch den Regierungsrat suggeriert werde, es sei nur auf der «roten Fläche» ein Nachwachsen der Bäume nicht mehr möglich.

| Sonja Laurèle Bauer | Gesellschaft
Berner Waldbesitzer
Ob Abschuss oder Wolf – das Rotwild hat so oder so verloren: ein junger Rehbock in einem Berner Wald. Foto: zvg

Auf knapp 40 Prozent der Waldfläche könne der Wald aufgrund des übermässigen «Verbisses durch das Schalenwild» nur mangelhaft oder gar nicht nachwachsen, sagt Anja Leser, Geschäftsführerin Berner Waldbesitzer. Mit der Annahme der Motion Aebi habe die Umweltdirektion des Kantons Bern Vorbildfunktion. Abgesehen vom Kanton Graubünden würden die Konsequenzen, namentlich für den Schutzwald, bisher unterschätzt. «Der Kanton Bern liefert rund 20 Prozent des Schweizer Holzes und kommt nun seiner Verantwortung für die Zukunft des Waldes nach.»

Beitrag der Bevölkerung

Das Jagdinspektorat und das Amt für Wald und Naturgefahren hätten bereits im Sommer mit der Ausarbeitung der Strategie Wald-Wild-Lebensraum eine klare Aufgabe erhalten, welche mit der Annahme der Motion Aebi (100 Stimmen zu 41 Gegenstimmen) nun auch politisch breit abgestützt sei. Ziel sei ein möglichst rasches Ergebnis auf der Fläche: ein ausgewogenes Ökosystem, das es dem Wald erlaube, nachwachsen zu können, und für genügend Wildtiere einen attraktiven und ruhigen Lebensraum biete. Die Bevölkerung könne und solle einen Beitrag leisten und Beschilderungen von Naturreservaten beachten sowie grundsätzlich im Wald auf den Wegen bleiben. «Der Berner Wald ist, bedingt durch die Trockenheit, der schwindenden Artenvielfalt, der Schutzfunktion, der Holzproduktion sowie durch die Anpassung an den Klimawandel, stark gefordert.»

Der Grosse Rat fordert die Umweltdirektion auf, die bestehenden Instrumente der Jagdplanung sachgerecht anzuwenden und die Problematik mutig und mit Vorbildcharakter anzugehen. Was zähle, sei, «dass der Wald gerade dort, wo er seit Jahrzehnten nicht nachwachsen kann, endlich eine Chance bekommt». Dies bedinge, der Ausbreitung des Schalenwildes Einhalt zu gebieten.

Der Wolf als Teil der Lösung

Die Redaktion dieser Zeitung fragte Anja Leser, wie die Berner Waldbesitzerinnen und -besitzer zum Wolf stünden, der das Rotwild jage. «Grossraubtiere können die Wildprobleme nicht lösen, aber einen Teil dazu beitragen», so Leser. Die Berner Waldbesitzer befürworteten die Präsenz des Wolfes. «Insofern auch den Landwirtinnen und Landwirten geholfen wird.»

Verwaltung muss mitziehen

Beim Luchs habe man gut sehen können, wie stellenweise die Wildschäden zurückgegangen seien. «Der Luchs reisst keine Nutztiere und soll sich ungestört ausbreiten können. Wir Waldbesitzer verschliessen uns also nicht per se vor dem Wolf – einfach mit Vorbehalt.» Ein Wolf, der ausschliesslich Nutztiere fresse, nütze dem Wald nichts. Nutztiere aber seien die leichtere Beute. Deshalb bedürfe es auch einer Verwaltung, die mitziehe und die Bauern unterstütze, dass man grosszügiger sei. «Dass man sogenannten Problemwölfen nach dem Leben trachtet, ist nachvollziehbar. Doch die Auslegung wird flexibel und breit gehandhabt.»

Bitterer Beigeschmack

Was der Geschäftsführerin in Bezug auf die Motion sauer aufstösst, ist, dass durch Regierungsrat Christoph Ammann suggeriert werde, dass das Wald-Wild-Problem kein relevantes sei. «Und dies, obwohl zurzeit die ganze Schweiz davon spricht.» Ammann spreche allein von der sogenannt «roten Fläche», auf der ein Nachwachsen der Bäume nicht mehr möglich sei. «Doch es sind 30 Prozent mehr Wald betroffen! Insgesamt sind es 67 000 Hektar Wald, der nicht mehr nachwachsen kann.» Sie bedaure, so Leser, dass diese Tatsache durch den Regierungsrat kleingeredet werde. «Wenn es also heisst, nur zehn Prozent des Waldes seien betroffen, dann ist dies ein Verdrehen der Tatsachen.» Dass der Forstdirektor des Kantons positiv bewerte, dass die Flächen mit untragbaren Waldschäden von zwölf Prozent in den vergangenen Jahren konstant geblieben seien, sei dies erschreckend. Eine Motion sei keine Wahlkampfdebatte, wie von Ammann despektierlich bezeichnet. «Nicht, wenn die herrschenden Zustände, wie mit dem Wald umgegangen wird, untragbar und verantwortungslos sind.» Es gehe darum, das Amt für Wald und das Jagdinspektorat zu verbinden, so Leser, «damit beide gemeinsam zielführend agieren können. Solange das Desinteresse gegenüber den herrschenden Tatsachen noch so gross ist, hat die Motion einen bitteren Beigeschmack.»

 

Kommentar

Wolf: Massnahmen statt Hass 


Vor zwanzig Jahren arbeite ich bei einem Radiosender. Ich hatte zu vermelden, dass ein Luchs, der angeblich zu viele Schafe gerissen habe, eliminiert werden sollte. Ich fragte den damaligen Jagdinspektor, wie man wisse, dass man das «richtige» Tier erlege. Dies sei in der Tat schwierig, sagte er, man halte sich an das, was man über ihn wisse. Am nächsten Morgen, Minuten vor dem Senden der Morgennachrichten, hatte ich den Jagdinspektor erneut am Telefon. Man habe den Luchs erlegt, sagte er. Meine Folgefrage hatte er nicht erwartet: «Den richtigen?» Der Jagdinspektor druckste herum, war aber Manns genug zuzugeben, dass es ein anderer gewesen sei, was man an der Zeichnung habe ausmachen können. Auf meine Empörung hin gebot er stillzuschweigen, es werde so auf allen Seiten schneller Ruhe einkehren. Mein damaliger Vorgesetzter erlaubte nicht, dass die Wahrheit über den Sender ging. Ich war ohnmächtig ob so viel Ignoranz und Feigheit, verlor meine Lust an der Arbeit und ging bald darauf. Vergessen habe ich es nie. Auch weil ich selbst so feige war.

Vom Luchs liest man in den Medien kaum noch etwas (weil er Vegetarier wurde?). Für die Jäger bleibt er wohl Thema. Dafür wird nun gegen den Wolf gehetzt. Der Wolfsbestand soll um 70 Prozent dezimiert werden. Abgeschossen soll ein Wolf werden, wenn er sechs Schafe gerissen hat. Ob es sich um den «richtigen» Wolf handelt, weiss man nicht, bis die DNA ausgewertet wurde. Heute leben von sieben erst angenommenen «Täter»-Tieren noch drei, weil sie erschossen wurden. Dies ist bedenklich. Gearbeitet wird – mit Angst. Obwohl ein Wolf die Menschen meidet (ein Zoologe sagte mir, dass ein Mensch für Wildtiere übel rieche und sie deshalb nicht freiwillig in dessen Nähe kämen, geschweige, ihn fressen wollten). In den meisten Medien wird er auf seine Risse reduziert. Stellen Sie sich vor, wir würden den Menschen allein am Verzehr von Fleisch messen, an der Zahl seiner Schlachttiere?!

Dass der soziale Wolf für die Umweltbalance (zum Beispiel in den Wäldern, indem er Wild dezimiert) wertvoll ist, wird kaum erwähnt. Stattdessen wird in Rudel hineingeschossen, um das bekanntlich kluge und sensible Tier moralisch zu schwächen. Wenn ein Wolf in einem Gehege mehrere Tiere tötet, so aus Stress, weil der Ausweg begrenzt ist. Dass ein Schaf einfacher zu töten ist als ein Hirsch, ist klar. Ein Wolf reisst alte, kranke und schwache Tiere – oder eben solche, die nicht fliehen können. Deshalb: Um Schafe zu schützen und die Not der Landwirtinnen ernst zu nehmen, braucht es nicht Willkür, nicht dies Trauer-spiel vom Erschiessen des «richtigen» Wolfs (noch weniger, wenn es dann nur irgendeiner ist, um Bevölkerung und Behörden zu befriedigen), es braucht nicht den Hass auf ein Wildtier, das uns durch seinen Opportunismus ähnlich ist. Es braucht Geld und Massnahmen zum Schutz der Herdentiere, Landwirte und Verwaltung, die mitziehen. Keine Ignoranz im Parlament. Keine Selbstjustiz der Schafhalter. Keine billigen Lösungen, unter denen – einmal mehr – Mensch, Schaf und Wolf gemeinsam leiden.

Notabene: Fast nie wird erwähnt, dass die sogenannte Gämsblindheit, die diese dahinrafft, durch die viel zu vielen und oft monatelang auf der Alp allein gelassenen Schafe übertragen wird. Sie stellen ein Erregerreservoir dar, von dem aus Wildtiere infiziert werden können, wenn diese sich in der Nähe von Schafherden aufhalten.

Sonja L. Bauer


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