Einfach sein
Mensch und Tier | Pia Buob aus Steffisburg lebt mit ihren Tieren auf ihrem Lebenshof «Einfach sein» für Mensch und Tier in Heimisbach – und nimmt
Menschen bei sich auf, denen es psychisch nicht gut geht (Carefarming). Aber auch die 100 Tiere dürfen bei ihr «einfach sein» und müssen niemandem nützen.
Pia Buob ist Landwirtin und ausgebildete Pflegefachfrau HF, Psychiatrie, mit langjähriger Erfahrung in der Arbeit mit Menschen in den verschiedensten Lebenssituationen. Die 56 Jahre alte Landwirtin, die sich vor fünf Jahren für den Ausstieg mithilfe des «Hof Narr» aus der Nutztierhaltung entschied und sich, wie sie sagt, «auf den Weg in eine friedliche, biologische Landwirtschaft machte», ist eine, im Wortsinn, «aufgestellte», fröhliche Frau voller Esprit und Leben. Wer genau hinschaut, sieht aber in ihren Augen auch eine leise Traurigkeit, die sie allerdings nach innen kehrt. So, wie man Wäsche zum Waschen wendet.
Mensch und Tier gehören zusammen
Die Frage, warum Menschen, die von Tieren umgeben sind, manchmal traurig sind, ist nicht schwer zu beantworten. «Wenn ich sehe, wie der Mensch mit dem Tier umgeht, ist es unmöglich, manchmal nicht traurig zu sein.» Gerade vor ein paar Tagen sei sie gefragt worden, ob sie ein gesundes, erst zehnjähriges Pferd bei sich aufnehmen könne. Mit den Worten: «Falls nicht, wird es geschlachtet.» Doch Buob hatte zurzeit nicht die Kapazität, so schnell und kurzfristig noch ein Pferd bei sich aufzunehmen. Zur Journalistin dieser Zeitung sagt sie: «Wahrscheinlich ist es jetzt schon tot.» Sie fühle sich manchmal ohnmächtig und erpresst: «Es fühlt sich an, als wäre ich schuld, wenn die Besitzer ihre Tiere zum Metzger bringen.» Dabei sei es nicht selten das Versagen der Menschen. Oft werde auch angenommen, sie kaufe den Besitzern die Tiere für teures Geld ab, die bei ihr eine neue, andauernde Heimat fänden, ohne «nützen» zu müssen. «Dabei füttere ich sie doch schon bis an ihr Lebensende durch und pflege sie.»
Doch Buob ist eine pragmatische Frau, sie lässt sich nicht so schnell unterkriegen. Schliesslich hat sie jahrelange Erfahrung mit Menschen in der Psychiatrie und Tieren auf dem Bauernhof. Warum sie jeweils psychisch kranken oder angeschlagenen Menschen auf ihrem Hof in Heimisbach für eine Zeitlang Heimat gibt, erklärt sie so: «Menschen und Tiere passen einfach gut zusammen!» Und seelisch kranken Menschen täten die Tiere gut. «Im Zusammenleben mit den Tieren und bei deren Pflege können Bewohnerinnen und Bewohner zur Ruhe kommen, Energie tanken und neue Lebenskraft gewinnen.» Denn schon als Psychiatriepflegefachfrau habe sie gesehen, «dass die Programme universitärer Kliniken oft in die falsche Richtung laufen. Die psychisch angeschlagenen Menschen wollen nicht den ganzen Tag Mandalas ausmalen.» Sie sage dies natürlich überspitzt, so Buob, «aber wenn ein Mensch gesunden will, muss auch sein Kreislauf in die Gänge kommen, und Geist und Seele müssen einen Sinn in den Tätigkeiten spüren.»
Was Interessierte, die für eine Zeit auf dem Hof leben wollen, brauchen: eine Heimbewilligung, eine IV- oder EL-Kostengutsprache. Aber auch für Menschen, die sich den Aufenthalt privat finanzierten, sei es möglich, aufgenommen zu werden. «Die Menschen dürfen so lange hierbleiben, wie sie mögen und können.» Zurzeit habe sie einen Platz frei, aber auch noch fünf Personen auf der Warteliste. Drei Festplätze gibts auf ihrem Lebenshof. Zudem einen Wagen zum Übernachten für Feriengäste. 150 Franken kostet die Nacht für zwei Personen, inklusive Frühstück und Hoferlebnis. Damit finanziert sich Buob den Hof. Doch der wichtigste Aspekt, der den Tieren ein Leben sichert, seien die Tierpatenschaften, so die vitale Landwirtin. «Wir suchen Menschen, die Patin oder Pate eines Tieres werden möchten und so mithelfen, seinen Lebensunterhalt zu finanzieren.»
Win-win-Situation
21 Kühe, einen Ochsen, elf Ziegen, zwei Hunde, Katzen, Gänse, Enten, Hühner, Hähne und fünf Stuten hat sie. Und bald noch einen Wallach: «Ich erfülle mir mit dem Pferd meinen Lebenstraum von der Pferdeherde», schmunzelt die zweifache Mutter und vierfache Grossmutter; ihr zehnjähriger Enkel Yael ist gerade zu Besuch.
Wie aber kam es zum Projekt? «Als meine Kinder in Steffisburg aus der Schule waren, suchte ich eine neue Beschäftigung. Entweder jodeln, wie die Mutter, oder rössele, wie der Vater, der in Willisau eine Pferdezucht hat. Sie erzählt, wie es kam: Auf ihrem Lebensweg sei sie ihrem «Herzenspferd» Momo begegnet. «Doch es wurde sehr krank.» Sechs Wochen habe sie es im Spital begleitet, nie allein gelassen. «Das Pferd und ich, wir befanden uns in einer Symbiose.» Eines Tages habe sie einen «Deal» mit diesem Pferd ausgehandelt. «Ich sagte ihm, dass, wenn es überleben und gesund werde, ich mit ihm nach Norddeutschland wandern würde, wir immer zusammen wären. Falls es stürbe, würde ich vielen anderen Tieren, die sonst sterben müssten, eine neue Heimat geben …» Das Pferd starb. «Das war unglaublich hart für mich.» Aber sie hielt Wort, fand in Heimisbach einen Hof und gründete den Lebenshof.
Buob zeigt auf den kleinen Hahn, der gerade mit seinen «Damen» über die Wiese stolziert. «Das ist Nutello, ein Chabo.» Auch er sei fast gestorben, weil er eine Lungenentzündung bekam. «Eine Freundin und ich haben den vor Stress und Elend Todkranken aufgepäppelt, ihm ein eigenes Hühnerhaus gekauft.» Nun laufe er «stinkwichtig» mit seinem Harem durch die Gegend. Mit Hühnern, die ausgestallt worden seien. Ausgestallt? «Ja, das ist ein schönes Wort für jene Tiere, die geschlachtet werden. Schon verrückt, gäu, wie Menschen hinter Worten ihre Taten verbergen.» Es sei ein Paradoxon, wie man jedes Jahr Tausende von jungen Freilandhühnern schlachte, die erst ein Jahr alt seien. «Obwohl sie noch jahrelang viele Eier legen würden. Sie wurden ja dafür gezüchtet.»
Frauenpower und Biodiversität
Pia Buob betreibt den Lebenshof «Einfach sein» mit einer Kollegin: Auch Stefanie Pulver ist Pflegefachfrau HF. Erst nahm sie sich eine Auszeit, schliesslich blieb sie dort hängen. «Heute arbeitet Stefanie 150 Stellenprozent hier», lacht Pia Buob. Die beiden Frauen schmeissen den Hof allein. Und: Auch in Sachen Nachhaltigkeit können sie stolz sein. Ihr Betrieb erreichte, was die Biodiversität angeht, 89 von möglichen 100 Punkten. «Der Punktwert ist ausserordentlich hoch, einer der höchsten, den jemals ein Schweizerbetrieb in der Studie RISE der Berner Fachhochschule erreicht hat.»
Mit den Augen einer Kuh
Pia Buob führt die Besucherin in den Stall, wo zwei Kühe und ein Ochse stehen. «Die anderen sind auf der Alp», so die Landwirtin. «Diese drei dürfen täglich hier auf die Weide. Wir konnten den Ochsen ja nicht allein hier unten lassen», lacht sie und erzählt die Geschichte der hübschen Kuh, die der Besucherin ihre Nase entgegenstreckt. «Ein Kuhmäster aus der Nähe von Bern rief mich an, ich solle die Kuh holen, er könne sie nicht schlachten, weil sie ihn mit ihren schönen Augen immer so ansehe …» Sie habe ihm gesagt, er solle halt endlich aufhören, Kühe zu mästen, dies sei sowieso für alle die beste Lösung und erst noch lukrativer. «Doch der Mäster sagte, er müsse ja irgendwie Geld verdienen …»
Buob seufzt, wohl, weil nach wie vor so viele Landwirte den Vorteil von fleischloser Landwirtschaft nicht sehen. «Ich bin zu ihm gefahren, sah die Kuh, ihren Blick – und nahm sie mit.» Sie sei eine Eringer-Mix. «Das sind so gutmütige Tiere …»
Auch zu deren Kuh-Kollegin gibt es eine Geschichte. «Eine Evolèner-Züchterin brachte das Kalb im Kofferraum eines kleinen Autos zu mir. Ich zog es gross, verkaufte es aber dann aus Platzgründen einem Bekannten, der mit der Kuh züchten wollte. Doch auch der habe sie angerufen mit den Worten: ‹Sie schaut immer zu einem hinüber, das ist nicht zum Aushalten. Komm und hol sie zurück!› So habe ich sie halt zurückgekauft.»
«Ich brach ihr Vertrauen»
Pia Buob ist keine leichtfertige Frau, die einen Lebenshof gründete, um «ein bisschen» mit Tieren zusammen zu sein. Schon vorher war sie Landwirtin: «Ich betrieb Mutterkuhhaltung und fuhr regelmässig mit den Tieren zum Metzger.» Dieser habe ihr stets bestätigt, dass ihre Tiere die Einzigen seien, die «einfach so» in den Schlachthof spazierten. «Meine Tiere hatten keine Angst. Sie vertrauten mir hundertprozentig. Deshalb wurde mir mehr und mehr bewusst, dass das, was ich tat, ein Vertrauensbruch ihnen gegenüber war …» Sie sinniert weiter: «Es ist furchtbar, wie sich manche Tiere anderer Mäster im Schlachthof wehren, weil sie es spüren, weil sie Angst haben.» Wessen Tiere spricht sie an? «Ich habe viel erlebt. Meistens sind es die armen Kreaturen der Grossschlachtbetriebe.» Sie stockt: «Wie Micarna und Bell … – den Tieren gegenüber ist das eine Katastrophe.»
Doch auch bei diesen unerträglichen Themen – Pia Buob steht mit beiden Beinen auf dem Boden, sie hat Schalk. Das braucht sie, denn neben dem Wissen um das Tierleid ist es nicht immer einfach, junge Menschen zu betreuen, die psychisch leiden. Sie erzählt eine Geschichte: «Bei uns lebte ein junges Mädchen, das sich selbst verletzte.» Weil der ganze Boden im Zimmer verblutet gewesen sei, habe sie das Zimmer, nachdem die Frau den Hof verlassen hatte, renoviert, eine andere junge Frau sei gekommen. Diese habe sich den Kopf an die Wand geschlagen. «Ich ging zu ihr rein, sagte ihr freundlich, ohne gross darauf einzugehen: ‹Weisst du, dieses Zimmer wurde gerade renoviert. Wenn du den Kopf an die Wand schlagen willst, so gehe doch bitte in den Stall zu den Ziegen und tue es dort, denn die machen das auch.› Das Mädchen hat seinen Kopf nie mehr an die Wand geschlagen …»
Einen gewissen Pragmatismus brauche es manchmal, so Buob, obwohl die Grenze natürlich eine schmale sei. «Es ist ein ständiges Abwägen, aber hier kommen mir wahrscheinlich meine Erfahrung und meine Menschenkenntnis zugute.
Verpflichtung gegenüber den Tieren
«Wir haben den Menschen gegenüber eine Verpflichtung – aber auch den Tieren gegenüber.» Deshalb würden die Klientinnen und Klienten an die vier, fünf Stunden pro Tag helfen, die Tiere zu pflegen, wenn sie dazu imstande seien und Lust darauf hätten. «Aber es hilft, wenn sie den Kreislauf in Gang bringen.» So serviere sie morgens einen Kaffee, den alle gemeinsam tränken. «Wer nicht am Tisch erscheint, hat dann halt auch keinen Kaffee.» Um 11 Uhr gibt es einen tierproduktefreien, reichhaltigen Brunch und am Abend ein ebensolches warmes Essen.
Nicht alle wüssten allerdings, wie das so sei und gehe in der Tierwelt. Wann eine Kuh Milch gebe (nachdem sie gekalbert hat) oder wann ein Huhn Eier lege (jeden Tag, wenn es darauf gezüchtet ist: «Diese Eier essen wir, wir werfen sie nicht weg. Die Hühner legen sie auch, wenn sie nicht müssen, eben, weil sie vom Menschen auf Leistung getrimmt wurden.»).
Kürzlich sei eine Frau aus einem anderen Erdteil vorbeigekommen und habe ein paar Eier gekauft. «Sie zeigte im Vorbeigehen zu den elf Hähnen und fragte, ob die auch schon Eier gelegt hätten … Darüber mussten wir schmunzeln.»
Gerade wird ein neuer Pferdestall gebaut, weil bei jedem Regenwetter Wasser in den alten lief. «In jeder Regennacht schaufelten wir an die 50 Kübel Wasser aus dem Stall.» 200 Stiftungen und Institutionen habe sie angeschrieben. «Fast alles ist nun zum Glück finanziert; es fehlen noch an die 50 000 Franken.»
Pferde jagen Kühe
Zu guter Letzt noch eine Geschichte aus dem bunten Leben des Lebenshofes um Pia Buob und ihre Menschen und Tiere: «Eines Nachts haben wir den Ochsen und die beiden Kühe vermisst. Bis der Nachbar anrief und sagte, der Ochse und seine Damen sei bei ihm im Stall und täten sich an seinen Maiswürfeln gütlich.» Der Nachbar habe ihr erzählt, so Buob, er sei nur deshalb nachts in den Stall gegangen, weil er nach dem neugeborenen Kalb habe schauen wollen, da habe er es laut schmatzen hören. Der Bauer habe die kleine Herde schliesslich Richtung Heimatstall getrieben. An der Pferdeweide von Pia Buob vorbei. Sie habe ihm von unten zugerufen: «Ja nicht zu den Pferden!» Der Bauer aber habe verstanden «lass sie zu den Pferden». So habe er den Zaun angehoben und Ochse und Kühe zu den Pferden auf die Weide gelassen. Buob: «Die Pferde sind von der Rasse der Quarter Horses, also jener Pferde, die mit ihren Reitern unter anderem Vieh treiben … Die Tiere waren sich dies so gewohnt von früher, sodass sie auch ohne Reiter die Kühe kreuz und quer über die Weide jagten, bis es uns gelang, die Pferde mit Futter aus der Weide zu locken.»
Wer Patin oder Pate werden möchte – davon ist das Überleben des Hofes abhängig –, oder wer einen Platz auf dem Hof sucht, melde sich bitte unter www.piabuob.ch.