Sorgenvoller Optimismus
Journalismus • An einer Lesung im Zentrum Paul Klee zeigte Roger de Weck auf, in welcher Krise sich der Journalismus befindet und wie er aus dieser Krise herauskommen kann.

Journalismus ärgert. Ein Grund dafür liegt im schlechten Journalismus, der aufgrund seiner mangelnden Qualität nervt. Ein weiterer Grund liegt darin, dass guter Journalismus häufig dazu neigt, jemandem auf die Füsse zu treten.
Diese Thesen mit ihren beiden Begründungen sind Teil der Einleitung von Roger de Wecks neustem Buch «Das Prinzip Trotzdem. Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen». Im Rahmen einer Lesung im Zentrum Paul Klee Ende Januar erläuterte de Weck, warum sich der Journalismus heute in einer Krise befindet und wie die Rettung des guten Journalismus aussehen könnte.
Journalismus in der Krise
Seit mehreren Jahrzehnten agiert Roger de Weck selbst im Journalismus. Ob als ehemaliger Chefredaktor des «Tages-Anzeiger» oder von «Die Zeit», als Generaldirektor der SRG, Reporter und Moderator oder als Mitglied des Zukunftsrats für Reformen bei der ARD und dem ZDF; Roger de Weck kennt den Journalismus.
Eine Ursache der von de Weck diagnostizierten Krise des Journalismus sieht er in der steigenden Anzahl Medien bei zeitgleich sinkenden Mitteln. Der Taktgeber seien nicht mehr journalistische Erzeugnisse, sondern Social Media. Bei diesen stünden aber häufig Meinungen im Vordergrund, nicht Fakten. «Diese Meinungsinflation entwertet Fakten», so de Weck. Zudem müssten Medien heute sekündlich weitere Nachrichten oder Aktualisierungen veröffentlichen, um noch Beachtung zu finden. Auch darunter leide die journalistische Qualität. Und ganz grundsätzlich «hat der Journalismus das Monopol als Vermittler von Informationen verloren», sagt de Weck. Anstelle Social-Media-Beiträge dem Journalismus anzupassen, neigten viele Medienhäuser und Journalisten dazu, Social Media in ihrer journalistischen Arbeit zu imitieren. «Die Plakativität nimmt zu», so de Weck, «viele machen nur, was Klicks bringt.» Viele Medienhäuser beziehungsweise Redaktionen machen das aus einem nahe liegenden Grund: weil es funktioniert. Weil das Publikum plakative Beiträge erwarte. Auch «ist Journalismus häufig opportunistisch», sagt de Weck. Das zeige sich beispielsweise in der politischen Ausrichtung von Medien. So beobachte de Weck in der Schweizer Medienlandschaft aktuell einen Rechtsrutsch. All diese Punkte führten dazu, dass der Journalismus als vierte Gewalt an Gewicht verliere. Zwar gehörten Meinungen in Form von Kommentaren zum journalistischen Handwerk dazu. Doch viel zu häufig fehle es heute an einem «erkenntnisorientierten Diskurs». Deshalb sei es wichtig, dass Journalismus seine anderen Kerngebiete stärke, also das Suchen, Prüfen, Zusammentragen, Aktualisieren, Analysieren und Korrigieren von Informationen. In diesem Kontext kommt de Weck auf künstliche Intelligenz (KI) zu sprechen. Diese sei eine Einladung für Journalisten, erst recht richtig zu recherchieren, denn das könne die KI nicht. «Journalismus soll die Macht des Faktischen bestärken», sagt de Weck. Doch anstelle davon, mehr Ressourcen in Redaktionen zu stecken, bauten viele Medienhäuser oder eher Medienbetriebe ihre Redaktionen nach und nach ab. Dabei zieht er Journalisten selbst in die Verantwortung. Häufig berichte Journalismus über Fehlentwicklungen in der Gesellschaft. Also solle der Journalismus auch eigene Fehlentwicklung anschauen.
Auswege aus der Krise
De Weck sieht sich selbst als Kulturoptimist. Er zeichnet nicht einfach den Teufel an die Wand. Denn es gebe Beispiele, die zeigten, dass sich guter Journalismus durchaus durchsetzen könne. Obschon viele Menschen häufig nur Artikeltitel oder wenige Zeilen lesen würden, zeugten beispielsweise mehrstündige Podcasts von der Bereitschaft der Hörerinnen und Hörer, sich intensiv mit einem Thema auseinanderzusetzen. Auch lange Artikel in (Online-)Medien erfreuten sich grosser Beliebtheit, sofern die Texte auch wirklich gut geschrieben seien.
Damit der Journalismus aber wirklich an Qualität gewinne, müsse sich dieser von der heute vorherrschenden Aufregungsökonomie wieder hin zur Aufmerksamkeitsökonomie entwickeln. Als Beispiel verweist de Weck hier auf die Tagesschau in Deutschland. Diese hat es geschafft, dass Beiträge von ihr auf Tiktok von Hunderttausenden Usern geschaut werden, ohne dabei auf reisserische Titel und boulevardeske Themen zurückzugreifen. Oder die französische Zeitung «Le Monde» stockte die Redaktion auf und veröffentlichte online weniger Artikel. Sie setzte also auf Qualität statt Quantität. Mit Erfolg. Deutlich mehr Menschen begannen, Beiträge der Zeitung zu lesen.
Düsterer sehe es da schon in den USA aus. In ganzen Regionen fehlten dort lokale oder regionale Medien. Man spreche hier von «Nachrichtenwüsten». Um dieses Phänomen in der Schweiz zu verhindern, biete sich Unterstützung der öffentlichen Hand an. Diese solle dabei helfen, dass Journalismus überall zugänglich sei. Schliesslich sei für eine gut funktionierende Demokratie eine Machtverteilung zentral. Unabhängiger Lokal- und Regionaljournalismus könnten zu dieser Machtverteilung einen wichtigen Beitrag leisten. Der Kanton Freiburg schenkt 18-Jährigen beispielsweise ein digitales Jahresabonnement für eine der Zeitungen im Kanton. Und der Staat Dänemark entschädigt redaktionelle Arbeit nach klaren Kriterien, deren Erfüllung eine unabhängige Vergabeinstanz überprüft.
Weiteres Potenzial sieht de Weck in einer Algorithmus-Transparenz. Social-Media-Plattformen sollten ihren Usern anzeigen, welche Algorithmen dafür sorgen, welche Beiträge angezeigt werden. Damit einhergehend plädiert de Weck für eine «straffere Regulierung», sprich die Aufhebung von Anonymität auf Social Media. So überlege sich ein User zweimal, was für Inhalte er hochlade.
Aufgrund dieser und weiterer Überlegungen, die er in seinem Buch festhält, vertrete Roger de Weck in Bezug auf den Journalismus einen «sorgenvollen Optimismus».