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Kein Weg zurück

Justizgeschichte | Die Todesstrafe ist endgültig, archaisch und veraltet. Trotzdem wurde sie in der Schweiz noch relativ lange angewendet. Dies mit öffentlichen und meist gut besuchten Hinrichtungszeremonien. Ein Blick zurück.

| Adrian Hauser | Gesellschaft
Guillotine
Die Guillotine, mit der in der Schweiz zwischen 1845 und 1940 die meisten zivilen Todesurteile vollstreckt wurden. Wikimedia Commons/zvg

 Ein dunkles Kapitel der Schweizer Justizgeschichte: die Todesstrafe. Die Vollstreckung des letzten Todesurteils in der Schweiz liegt gar nicht so lange zurück. In Sarnen wurde 1940 Hans Vollenweider durch die Guillotine hingerichtet. Dies, weil er einen Obwaldner Polizisten erschossen hatte. Erst 1942 wurde die Todesstrafe aus dem zivilen Strafrecht gestrichen. Noch länger blieb die Todesstrafe im Militärstrafrecht. Dort wurde sie erst 1992 abgeschafft. Und es dauerte noch weitere zehn Jahre, bis sich die Schweiz im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention zur «Abschaffung der Todesstrafe unter allen Umständen» bekannte.

Zweifelhaftes Konzept

Die letzten Hinrichtungen im Kanton Bern erfolgten 1861. Geschichtsträchtig war vor allem eine Vierfachhinrichtung im Emmental. Den Überlieferungen nach war es ein blutiges Schauspiel im Ramsergraben zwischen Langnau und Trubschachen. Die enthaupteten Leichname seien auf «rohe Weise» vom Schafott hinabgeworfen worden, danach habe man die Köpfe nachgeschleudert und die Körperteile über die Landstrasse geschleift. Jeder und jede sollte das zweifelhafte Schauspiel sehen können. Rund 15 000 Schaulustige kamen an den traumatisierenden Anlass. Das entsprach in der damaligen Zeit mehr als drei Prozent der Bevölkerung. Man versprach sich durch die bewusst gesuchte Öffentlichkeit wohl eine abschreckende Wirkung. Die vier Hingerichteten wurden von einem Geschworenengericht wegen Raubmordes ohne mildernde Umstände schuldig gesprochen. Doch es wurden auch Personen wegen weit geringeren Verbrechen erhängt, mit dem Schwert getötet oder gerädert. Nämlich wegen Einbruch, Diebstahl oder Brandstiftung. Doch egal für welches Verbrechen, das Konzept der Todesstrafe ist nur schwer nachvollziehbar. Eigentlich liegt ein logischer Widerspruch darin: Der Staat – und auch die Kirche – sagt, du sollst nicht töten. Warum hat denn der Staat unter der Schirmherrschaft der Kirche das Recht, dies zu tun? Wissenschaftliche Studien erbrachten nie einen Beweis für die angeblich abschreckende Wirkung der Todesstrafe. Gemäss Amnesty International ist in den USA die Mordrate in Bundesstaaten mit Todesstrafe sogar höher als in Bundesstaaten, welche die Todesstrafe abgeschafft haben. 

Tat aus Verzweiflung

Im 19. Jahrhundert stand die Kriminaljustiz in der Schweiz noch im Zeichen der Abschreckung. Man suchte nicht wie heute nach mildernden Umständen, oder anders ausgedrückt nach Erklärungen für eine Tat. Vielmehr schien man sich am Höchststrafmass zu orientieren. So wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts der geständige und reuige­ Mehrfachdieb Johannes Burri aus Schwarzenburg zum Tode verurteilt, obwohl dies im Gesetz für die einzelnen Taten eigentlich nicht vorgesehen war. Dabei führte das Gericht ins Feld, dass er bereits mehrere Male aus einer Haftanstalt ausgebrochen und insgesamt «unverbesserlich» sei. Man muss an dieser Stelle noch anfügen, dass Diebstähle oft aus Verzweiflung und Mittellosigkeit begannen wurden. Johannes Burri war ein Taglöhner, er hatte eine Frau und sechs Kinder zu ernähren. Der Verteidiger war der Meinung, dass Johannes Burri zwar ein «rezidiver, aber nicht unverbesserlicher» Dieb sei. «Armuth und Hülflosigkeit seiner Familie verleitete ihn (…) zu verschiedenen Diebereyen, für welche er die verdiente Strafe ausgestanden hat», schrieb der Verteidiger damals. Und: Johannes Burri gehöre nicht in die Klasse der «vollendeten Diebe». Trotzdem wurde er 1807 durch den Strang hingerichtet. Die Hinrichtungen waren nicht nur öffentlich, sondern sie erfolgten nach einem minutiösen Protokoll, ja es war eine regelrechte Zeremonie. Verschiedene Vertreter der Behörden und Obrigkeiten waren anwesend, Geistliche, um die Delinquenten zu «trösten», die ausführenden Scharfrichter sowie ein gros­ses Publikum.

Aufkeimende Kritik

Die Verurteilten gingen mit ihrer Situation sehr unterschiedlich um. Einige zeigten Reue und entschuldigten sich bei den Angehörigen der Opfer. Andere wiederum kamen zur Einsicht, dass sie eine solche Strafe verdient hätten, und warteten geduldig auf ihr Ende, wobei sie auch eine gewisse Gottvertrautheit an den Tag legten. In der Öffentlichkeit und in der Presse mehrten sich aber im Laufe der Zeit kritische Aussagen zu dieser absoluten Strafe. Die Schaustellungen wurden teilweise als makaber empfunden. Der «Berner Volksfreund» beispielsweise stellte bereits 1838 die Wirkung der Strafe infrage. Eine solche «Metzgerei» sei nicht geeignet, die «rohen Sitten und die Gemütlosigkeit der untersten Volksklassen zu mildern». Ein solches «legales» Blutvergiessen sei zwecklos und grausam. 

Schon damals wurde der Sinn einer solchen Strafe also hinterfragt. Nichtsdestotrotz kommt sie in vielen Staaten noch zu Anwendung, und auch die Schweiz brauchte relativ lange, um davon abzusehen. Das Gefühl nach Vergeltung gemäss dem alttestamentlichen Prinzip «Auge um Auge, Zahn um Zahn» scheint tief in unserem Wesen verankert zu sein. Und ein Justizsystem, das die Todesstrafe noch immer anwendet, muss sich für ziemlich unfehlbar halten. Denn die Strafe ist endgültig. Erwischt es die falsche Person, gibt es keinen Weg zurück, keine Möglichkeit zur Korrektur. Schon alleine deshalb sollte die Todesstrafe weltweit verboten werden!


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