«Keine Gewalt ist nötig»
Tierschutzgesetz | Der Tierpark Dählhölzli Bern will umsetzen, was für Nutztiere noch nicht einmal der Rede wert ist: Dass es um die Anliegen der Tiere und nicht um jene der Menschen geht. Freude und Qual der Nutztiere werden an ihrem «Verwendungszweck» gemessen. Céline Schlegel gibt Auskunft.
Frau Schlegel, warum sagen Sie, dass das «beste» Tierschutzgesetz» nicht reicht?
Céline Schlegel: Die Auffassung, dass es Schweine, Hühner oder Kühe in der Schweiz besonders gut haben, stimmt nur begrenzt. Im internationalen Vergleich schneidet das hiesige Tierschutzgesetz zwar nicht schlecht ab, aber es herrschen stark romantisierte Vorstellungen vor, wie das Leben und Sterben von Tieren in der Schweiz konkret aussieht. Man denkt an Kühe auf grünen Weiden, nicht an Schweine, die in CO2-Kammern versenkt werden und unter Erstickungspanik ohnmächtig werden.
Worin erkennen Sie, dass unser Tierschutzgesetz die Tiere nicht ausreichend schützt?
Das Grundproblem ist, dass das Schweizer Tierschutzgesetz Tiere nur vor «unnötiger» Gewalt schützen soll. In den Grundsätzen des Tierschutzgesetzes steht: Wer mit Tieren umgeht, hat ihre Bedürfnisse «bestmöglich» zu wahren und «soweit es der Verwendungszweck zulässt» für ihr Wohlergehen zu sorgen. Hier lässt man dem Tierleid also viel Spielraum. Solange es dem Verwendungszweck dient, darf man mit Tieren viel Grausames anstellen: einsperren, verstümmeln, voneinander trennen, in zu grossen Gruppen halten, lange vor Ende der Lebenserwartung töten. Solange man damit Geld verdient und es in der Industrie als üblich und notwendig gilt, ist das erlaubt.
Können Sie uns ein Beispiel nennen, worin das Tierschutzgesetz aufgrund Ihrer Erklärungen versagt?
Es gibt massives Tierleid in der Schweiz, und das ganz legal. Zum Beispiel darf man Milchkühen ihre Kälber wegnehmen, obwohl das für die sozialen Tiere sehr schlimm ist. Sie rufen oft noch tagelang nacheinander. Die Kuh wird gemolken, das Kalb, vor allem wenn es männlich ist, sofort oder nach einem Jahr getötet und zu Fleisch gemacht. Die Kuh erleidet bald darauf ein ähnliches Schicksal: Schweizer Milchkühe leben im Mittel gerade einmal 6,5 Jahre. Sind sie nicht mehr fruchtbar genug, wartet die Schlachtbank. Dabei könnten sie bis zu 20 Jahre alt werden. Das alles ist erlaubt, weil es dem Verwendungszweck dient.
Wie sieht es bei den Hühnern aus?
Man darf Abertausende Hühner in einer Halle zusammen halten, obwohl sich diese nur in Gruppen von ein paar Dutzend Tieren wohlfühlen. Hühner brauchen eine Gruppenstruktur, aber das geht in der Masse nicht. Deshalb leben sie im Dauerstress und picken sich in der Folge gegenseitig die Zehen und Hinterteile blutig. Nicht wenige Tiere sterben. In der Fachsprache nennt sich das «Kannibalismus», die Tiertode werden als «Abgangsrate» bezeichnet. Für die Tiere ist das extrem schlimm, für die Industrie normal und legal.
Schlimm ist dies auch für die Schweine, die zu den klügsten Tieren der Welt gehören …?!
Es ist legal, Schweine im Schlachthof in eine Kammer zu treiben, in der statt Luft nur CO2-Gas enthalten ist. Die Tiere leiden unter Erstickungspanik, bis sie zusammenbrechen. Der Bund schreibt auf seiner Webseite schwarz auf weiss, dass diese Methode Schmerzen, Atemnot und Angst verursacht und dass der Todeskampf der Schweine Sekunden bis sogar Minuten andauert. Weil es keine Alternativen gibt, ist es trotzdem erlaubt. Die Schweine zahlen den Preis dafür, dass Menschen Fleisch essen.
Es gibt immer mehr Menschen, die weniger oder gar kein Fleisch mehr essen. Gehen die Schlachtzahlen deswegen nun zurück?
Man könnte meinen, dass die Schlachtzahlen angesichts dieses von vielen erkannten, massiven Tierleids in der Produktion sänken. Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall. Leider wissen die wenigsten Menschen über die wahren Zustände Bescheid. Dies liegt daran, dass Werbung für Fleisch und andere Tierprodukte oft beschönigend daherkommt. Die Werbung verspricht Heidiland-Idylle auf Weiden und im Stall. Der Bund gibt jedes Jahr Millionen Steuerfranken für Fleisch-, Milch- und Eierwerbung aus. Dies nennt sich «Absatzförderung». Und: Über 80 Prozent der Landwirtschaftssubventionen fliessen in die Produktion von Tierprodukten. Diese sind somit beliebt und erschwinglich. Was wiederum dazu führt, dass die Menschen in der Schweiz immer mehr Fleisch essen. Binnen 20 Jahren haben sich die Schlachtzahlen verdoppelt, im letzten Jahr auf über 80 Millionen geschlachtete Tiere.
Die Schweiz hat knapp über 8 Millionen Einwohnende. Das heisst, dass hier das Zehnfache an Nutztieren lebt und stirbt, die meisten von ihnen noch als Tierkinder, von deren Schicksal wir nichts wissen wollen. Was können wir dagegen tun?
Das Recht passt sich im Tierschutz der gängigen Praxis an. Was als üblich und notwendig gilt, ist erlaubt. Darum ist ein stärkerer Tierschutz nur möglich, wenn wir weniger Tiere nutzen und töten. Wir müssen also den Fleischkonsum senken, was Forschende und der Bundesrat ja ohnehin aus Klimagründen empfehlen. Das könnte man sogar ohne Zwang erreichen, etwa indem man die Landwirtschaftssubventionen von Fleisch auf pflanzliche Lebensmittel verlagert, pflanzliche Gerichte in öffentlichen Kantinen zuoberst aufs Menü schreibt und öffentliche Kampagnen über die Vorteile pflanzlicher Ernährung schaltet. Die Stadt Zürich geht bereits in diese Richtung.
Céline Schlegel ist Geschäftsleiterin der Schweizer Tierschutzorganisation Animal Rights Switzerland und setzt sich für ein friedliches und gewaltloses Zusammenleben von Tieren und Menschen ein.