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Todesurteil noch vor der Eiablage

Laubbläser | Im Herbst werden wieder Millionen von Insekten durch Laubbläser oder -sauger vernichtet. Dies, obwohl sogar das Bundesamt für Umwelt vor deren Gebrauch warnt.

| Sonja Laurèle Bauer | Gesellschaft
Laub
Muss Ordnung sein? Laub bietet Lebensraum für Insekten. Foto: Pixabay

Bald fängt wieder das grosse Aufräumen in den Gärten an – zum Schaden sehr vieler Insekten, die als Eier, Larven und Verpuppungen in Stauden, Büschen, zwischen Blumen und in Brennnesseln überwintern. «Ich frage mich manchmal, was die Menschen, die ihre Gärten allein der Ordnung halber bis zum Exzess aufräumen, in Bezug auf die Überwinterung der Insekten denken? Ob sie überhaupt daran denken?!», fragt «Berner Landbote»-Leserin Sibylle Aréstegui, und macht auf ein wichtiges Thema aufmerksam: den stillen Tod von Millionen von Insekten, wenn im Herbst die Laubbläser wieder überall heulen. Wie die Redaktorin dieser Zeitung im vergangenen Herbst beim Wandern in Habkern selbst erlebte, sogar auf einer Grosswiese nah am Wald …

«Wo genau sollen Insekten denn sonst überwintern, wenn nicht in Gartenabfällen, Laubhaufen, unter Rinden und Blättern am Boden? Viele sterben noch vor der Eiablage durch Laubbläser.» Aréstegui interessiert sich für Biodiversität. Deshalb besuchte sie diverse Kurse eines Biologen und weiss nun selbst einiges über das Verhalten unserer kleinsten Brüder und Schwestern. Und deshalb schrieb sie dem «Berner Landboten». «Bitte informiert die Bevölkerung über die von ihr wieder und wieder ignorierte Gefahr für Insekten durch Laubbläser, sogar auf dem Land.» Sie fordert Laubbläser-Benutzerinnen und -Benutzer auf, auf Insekten Rücksicht zu nehmen, und möchte die Bevölkerung aufmuntern, «die Gärten jetzt gerade nicht aufzuräumen». Aréstegui weiss, dass es den Insekten nur nützt, wenn Laubhaufen, abgeschnittenen Zweige und andere Abfälle bis zum nächsten Frühling liegen bleiben dürfen. 

Aréstegui ist nicht die Einzige, die dem «Berner Landboten» schrieb. Im Laufe der Jahre schrieben uns zahlreiche Leserinnen und Leser, dass sie sich über die laute und für Insekten tödliche Laubbläserei ärgerten. «Was mich besonders empört, ist, dass es Menschen gibt, die mit Laubbläsern hantieren und das Gerät nicht selten gar gegen Bäume und Büsche richten, um die Blätter direkt von dort wegzublasen. Das ist unglaublich!» Auch Menschen, die Gift spritzen, stören unsere Leserschaft, «nur um die Strassenränder von sogenanntem Unrat zu befreien. Etwas, das ich seit Jahren von Hand mache.»  

Auch die Tonne bedeutet den Tod

Denn auch die Grüntonnen bringen Insekten den Tod. «Warum nicht das Verdorrte in einer Ecke im Garten liegen lassen, damit die Insekten, die noch darin überwintern, genügend Zeit haben, auszufliegen. Und zwar dann, wenn die Zeit dazu auch wirklich gekommen ist?!» Jeder noch so kleine Garten könne zur Biodiversität beitragen. Klar, das Zusammenwischen von Laub sei mit Besen oder Rechen anstrengender. Aber die Gewissheit, etwas für die Insekten, die Umwelt und somit den Menschen zu tun, sollte Lohn genug sein. Was noch wichtig sei: Das Laub, das unter den Bäumen zusammengerecht wird, gehört, gemäss den Biologen, einerseits um den Baum herum verteilt, anderseits in eine Gartenecke. «Laubhaufen sind, ausser für Insekten, auch wichtige Unterschlüpfe für Wildtiere wie Igel.» 

Und: «Jetzt, wo es bald kälter wird, kann den zum Teil erschöpften Bienen Gutes getan werden. Durch den in einem flachen Teller verstrichen Honig, den man ihnen hinstellt, können sie Kraft tanken, bevor sie sich zur Wintertraube zusammenschliessen.» 

Bienen überwintern als ganzes Volk; bei den Wespen und Hummeln überlebt jeweils nur die Königin. 

Das sagt das BAFU

Es mutete wirklich seltsam an, wenn im Frühling und Sommer die Balkone und Verkehrsinseln für die unentbehrlichen Insekten bepflanzt werden – Millionen von Insekten aber im Herbst noch vor der Eiablage mit dem Laubbläser in den Tod gepustet werden. Die Redaktion des «Berner Landboten» wandte sich deshalb ans Bundesamt für Umwelt (BAFU). Dieses antworte umgehend auf die Fragen, wie schädlich Laubbläser für Insekten seien und warum diese nicht verboten würden. Hier die Antworten: 

«Laubbläser und -sauger schaden zahlreichen Kleintieren wie Würmern, Insekten, Spinnen, Amphibien oder Klein­säugern, indem sie deren Lebensraum wegpusten oder sie direkt aufsaugen und somit töten. Da jedoch die Auswirkungen durch Laubbläser auf Flora und Fauna von Ort und Art und Weise des Einsatzes abhängig sind, ergibt ein grundsätzliches Verbot wenig Sinn. In sensiblen Lebensräumen können die Kantone gezielte Massnahmen festlegen, die auch ein situatives Verbot des Einsatzes von Laubbläsern beinhalten können.»

Ist es kein Widerspruch, im Frühling anzupflanzen und die Insekten im Herbst via Laubbläser bewusst zu töten? BAFU: «Blumentöpfe auf dem Balkon bringen einen sofortigen Mehrwert, vor allem für vorbeifliegende Fluginsekten, die auf Nahrungssuche sind, also diejenigen Insekten, die weniger von Laubbläsern direkt betroffen sind, weil sie sich auch weniger im Laub aufhalten. Vor allem im Herbst, wenn viele Wiesenblumen bereits verwelkt sind, bieten solche späte Nahrungsangebote, zum Beispiel für junge Hummelköniginnen, einen wichtigen Energieschub für die Überwinterung.»

 

Sonderausstellung

Die neue Sonderausstellung «Insektensterben — Alles wird gut» im Natur-historischen Museum Bern startet Anfang November 2023. Sie zeigt, was Biodiversität und eine vielfältige Natur tatsächlich bedeuten, und diskutiert Massnahmen, mit denen der dramatische Rückgang bei den Insekten gestoppt werden kann. Die Sonderausstellung hat nicht zufällig einen fast schon provokant optimistischen Untertitel. Sie spielt im Jahr 2053 und zeigt, wie wir eine Zukunft schaffen könnten, in der die grosse Katastrophe abgewendet wird. Statt Problemen zeigt sie Lösungen, statt den Mahnfinger zu heben, porträtiert sie inspirierende Menschen, die an einer besseren Zukunft arbeiten – für uns und für die Insekten.

Pressedienst/Adrian Hauser


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