«Auch das gehört zur Demokratie»
Oberdiessbach | In Oberdiessbach wurde eine Beschwerde gegen das Budget eingereicht, was die Gemeinde in ihrer Handlungsfähigkeit blockierte.
Die Beschwerde wurde inzwischen zurückgezogen, doch die Kontroverse um die Einführung von Tempo 30 bleibt. Grosses Aufatmen in Oberdiessbach. Vor wenigen Tagen wurde die Budgetbeschwerde zurückgezogen, das Regierungsstatthalteramt hat das Verfahren mit Verfügung per 12. Februar als erledigt abgeschrieben. Eineinhalb Monat musste die Gemeinde zittern und mit angezogener Handbremse ins neue Jahr starten. Denn ohne gültiges Budget sind der Gemeinde weitgehend die Hände gebunden. Es können nur Ausgaben getätigt werden, bei denen vertragliche Verpflichtungen bestehen oder die dringend notwendig sind. «Dies zu entscheiden, liegt in der Kompetenz des Gemeinderates», erklärt Gemeindepräsidentin Bettina Gerber (Die Mitte, Liste SVP). Demnach hat der Gemeinderat Anfang Januar 130 Ausgabenposten im Budget 2024 überprüft, 95 davon wurden blockiert, 35 freigegeben. «Im Monat Januar haben wir etwa die Hälfte des Geldes ausgegeben, wie eigentlich geplant war», führt Bettina Gerber aus. Dies habe man in der Gemeinde deutlich gespürt. «Wir haben beispielsweise die Mitarbeitenden des Werkhofes gebeten, Überstunden abzubauen oder Ferien zu beziehen», so Bettina Gerber weiter. Dies, weil man nicht dringend notwendige Unterhaltsarbeiten stoppen musste. So durften wegen der Beschwerde keine Reparaturen an Strassen und Gebäuden ausgeführt, keine Geschiebesammler geleert oder keine neuen Stühle für die Primarstufe angeschafft werden. Auch der Ersatz der Heizung oder Malerarbeiten in einer Gemeindeliegenschaft wurde bis auf Weiteres aufgeschoben. Stattgefunden hingegen hat das Skilager der sieben Klassen der Sekundarstufe I im Berner Oberland. Denn die Mietverträge für die Lagerhäuser waren bereits abgeschlossen, die Gemeinde hätte bei einer Absage bis zu 80 Prozent der Mietkosten trotzdem zahlen müssen. Und: «Man hätte mit einer Streichung der Skilager die Falschen gestraft», sagt Bettina Gerber.
Mit grossem Mehr abgeschmettert
Stein des Anstosses war ein Geschäft an der Gemeindeversammlung von Dezember 2023. Bei der Budgetdebatte wurden Beträge für Verkehrsmassnahmen bemängelt. Es ging um die Vorarbeiten für die Sanierung der Kantonsstrasse und das Projekt Verkehrsberuhigung Dorfkern. Man habe versprochen, dass über die 30er-Zonen auf den Gemeindestrassen abgestimmt werden könne, daher müssten diese Beträge gestrichen werden, meinte der Beschwerdeführer. Er hielt das Vorgehen des Gemeinderates für falsch, was Bettina Gerber bereits an der Gemeindeversammlung entschieden zurückwies. Gemäss Bettina Gerber, die hauptberuflich als Juristin arbeitet, hat der Gemeinderat nicht unlauter gehandelt. Gemäss ihr ist alles in geregelten Bahnen abgelaufen. Und schliesslich sei der Vorschlag für Tempo 30 auch aufgrund eines Gutachtens des Kantons zustande gekommen, worin unter anderem festgestellt wurde, dass die Lärmbelastung durch den Verkehr im Dorf zu hoch ist.
Der Beschwerdeführer bemängelte insgesamt sechs Budgetposten: die Sanierung und Umgestaltung der Bahnhofstrasse, die Schulwegsicherung in Industriestrasse, Freimettigenstrasse und der Dorfkernzone, die Verkehrsberuhigung der Dorfkernzone, die Sanierung der Ortsdurchfahrten, die Sanierung der Kirchbühlstrasse West, diejenige der Schlossstrasse, die Erschliessung des Bittmooses sowie Lärmsanierungsmassnahmen. Insgesamt belaufen sich diese Kosten auf rund 300 000 Franken. Am meisten schlägt die Schulwegsicherung mit 175 000 Franken zu Buche. Der Beschwerdeführer warf der Gemeinde Salamitaktik vor und stellte sich auf den Standpunkt, dass all diese Budgetposten hätten zusammengefasst werden müssen. Denn zusammengefasst würden die Budgetposten einen Betrag erreichen, der in die Zuständigkeit der Gemeindeversammlung fällt. Der Antrag des Beschwerdeführers, diese Ausgaben vorerst ganz aus dem Budget zu streichen, wurde an der Gemeindeversammlung mit grossem Mehr abgeschmettert. Lediglich eine Handvoll Personen stimmten dafür.
«Tempo-30-Diktat»
Trotzdem war der Beschwerdeführer nicht alleine. Gegen Tempo 30 hat sich im Vorfeld der Versammlung ein Initiativkomitee gebildet, das an scharfen Worten nicht sparte. Es sei eine «gefährliche Aktion des Gemeinderates», «verkehrspolitische Willkür» und ein «flächendeckendes Tempo-30-Diktat» durch den Kanton. Hinter dem «teuren, grün-rot-ideologischen» Projekt würden «realitätsferne Experten» stecken, denen es um die generelle Einschränkung der Mobilität auf Kosten der Sicherheit gehe. Fazit der Gemeindepräsidentin: «Das Thema hat Potenzial, unser Dorf zu spalten, was ich sehr bedauere.» Weil der Beschwerdeführer an der Gemeindeversammlung kein Gehör fand, reichte er in der Folge beim Regierungsstatthalteramt Beschwerde gegen das gesamte Budget ein. Eine einzige Person ist also in der Lage, eine ganze Gemeinde zu blockieren. «Doch auch das gehört zur Demokratie», meint Bettina Gerber pragmatisch. Auch wenn die Beschwerde zurückgezogen wurde, die Gemeinde dadurch mit einem rechtskräftigen Budget wieder handlungsfähig ist, das Thema bleibt. Die Diskussion wird gemäss Bettina Gerber nun an der nächsten Gemeindeversammlung aufgenommen und kommt mindestens so direkt vors Volk. «Eine Abstimmung an der Urne über Beträge in dieser Höhe ist im Reglement nicht vorgesehen», erklärt Bettina Gerber. Auf Antrag sei dies allerdings möglich. Das wäre immer noch der bessere Weg, als eine ganze Gemeinde schachmatt zu setzen.