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Regionenübergreifender Regionaljournalismus

Journalismus Bereits vor mehreren hundert Jahren schrieben und lasen Menschen Zeitschriften. Obschon sich die Gesellschaft seither stark verändert hat, sind grundsätzliche Inhalte im Journalismus gleich geblieben.

| Thomas Abplanalp | Gesellschaft
Zeitung lesen
Menschen lesen Zeitungen aus verschiedenen Gründen. Bild erstellt mit Microsoft Designer

Bereits in Studien aus dem Jahr 1695 von Kaspar von Stieler über das Zeitungslesen tauchte die Formulierung der «Zeitungs Lust und Nutz» auf, wie Tobias Rohrbach, Postdoktorand am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaften der Universität Bern, sagt. Dem Bedürfnis, eine Zeitung zu lesen, lägen vielfältige Motive zugrunde. Ein Aspekt sei das Interesse an Informationen, ein anderer die Anschlusskommunikation. Das bedeutet, dass die Zeitungsinhalte für Gesprächsstoff gesorgt haben. Das, was in den Zeitungen geschrieben stand, darüber habe man geredet. «Heute schauen einige von uns manchmal Netflix-Serien an, weil wir wissen, dass auf der Arbeit darüber gesprochen wird», sagt Rohrbach. Und wie Netflix-Serien habe das Lesen einer Zeitung von jeher auch eine Unterhaltungsfunktion übernommen. Als weiteres Bedürfnis identifizierte von Stieler den Zeitvertreib und das Wissen. 

Die Entstehung des Journalismus

Dazu komme, dass im Journalismus historisch gesehen weniger die Informationsvermittlung im Vordergrund gestanden habe, sondern eher die Forums- und Orientierungsfunktion. Das bedeutet, dass Zeitungen Positionen und Interessen verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen abbildeten und so ein gesellschaftliches Gespräch ermöglichten. «In Dörfern und Stämmen war das früher einfacher», sagt Rohrbach, «da ging man einfach ins Dorfzentrum und hat geredet und geschrien.» Aber die Gesellschaft hat sich verändert, Dörfer wurden grösser oder gar zu Städten, verschiedene neue Berufsgruppen entstanden, gesellschaftliche Strukturen wurden komplexer und bestanden nicht mehr nur aus den Ständen Adel, Bauern und Ritter und technologische Erneuerungen wie das Postwesen und der Buchdruck etablierten sich.

Trotz der Existenz journalistischer Vorformen entstand der Journalismus, wie wir ihn heute kennen, im späten 16. Jahrhundert, und das noch bevor sich der Buchdruck mit beweglichen Lettern durchgesetzt hatte. Zeitungen wiesen trotzdem auch heute noch relevante Kriterien auf: Die Schriften erschienen in regelmässigen Abständen, sie behandelten aktuelle Themen von allgemeinem Interesse und die Artikel sollten Sachbestände unparteilich vermitteln.

Die Situation heute

In der Schweiz habe vor allem die Meinungspresse ab dem 18. Jahrhundert einen Aufstieg erlebt. Das zeige sich an der mal mehr, mal weniger expliziten politischen Ausrichtung von Verlagshäusern. Bezogen auf den Regionaljournalismus sei dessen Anzeigencharakter zu nennen. «Anzeigen verschiedener Quellen richten sich an verschiedene Leute», erklärt Rohrbach, «zudem enthalten regionaljournalistische Zeitschriften bis heute Serviceteile und erfüllen damit eine Orientierungsfunktion.» Kurz gesagt: Noch heute «antwortet der Journalismus auf ein kommunikatives Bedürfnis». 

Im internationalen Vergleich stehe der Schweizer Journalismus gemäss Rohrbach gut da. Man denke hierbei an die Dichte beziehungsweise Vielfalt journalistischer Produkte, die Meinungsvielfalt, die Arbeitsbedingungen oder die Pressefreiheit. Doch auch in der Schweiz habe das Krisennarrativ der vergangenen Jahre sichtliche Spuren hinterlassen.

Regionaljournalismus von morgen

Aufgrund der verschiedenen Sprach­regionen und anderer regionaler Differenzen habe der Regionaljournalismus gerade in der Schweiz eine grosse Relevanz. Und bezogen auf die letzten fünf bis sieben Jahren habe sich die Wandelbarkeit vom Journalismus gezeigt. «Der allgemeine Tenor auf Journalismus­tagungen geht in die Richtung Digitales», sagt Rohrbach. Das könne ein Problem für den Regionaljournalismus darstellen, der sich häufig noch zu sehr an die gedruckte Zeitung klammere.

Aus ökonomischer Sicht sei es mittlerweile häufig nicht mehr rentabel, eine Zeitung zu drucken. Gleichzeitig möchten Medien auch niemanden abhängen, der keine digitalen Medien konsumiert. Rohrbach sieht Möglichkeiten für Kompromisslösungen. Die Printausgabe könne in grösseren Abständen erscheinen, jede zweite Woche oder gar einmal monatlich. Dafür seien in dieser die «aufwendigeren Storys» zu lesen. Das schnelle Nachrichtengeschäft könne in den digitalen Bereich verlagert werden, damit die Informationen nicht an Aktualität verlieren.

Neben der Frage, wie viel Printjournalismus digital werden sollte, sieht Rohrbach auch in der steigenden Mobilität der Bevölkerung eine Herausforderung. Aufgrund der Möglichkeit, schneller weiter entfernte Orte zu erreichen, verlören viele Menschen ihre regionale Verwurzelung und damit das Interesse an den Geschehnissen in der Region. «Wer in Thun wohnt, aber in Zürich arbeitet, interessiert sich möglicherweise weniger für das Geschehen in Thun», sagt Rohrbach. 

Er sehe zwei Lösungsmöglichkeiten: Verlagshäuser könnten verstärkt mit anderen Verlegern zusammen­arbeiten und zum Beispiel ein gemeinsames Abomodell einführen. Oder, analog zu anderen Streamingangeboten, es könne eine zentralisierte Nachrichtenplattform entstehen, auf die einzelne Medien ihre Inhalte hochladen könnten. Lesende könnten dann gezielter das lesen, was sie interessiert. Interessierte sich beispielsweise jemand aus Bern für die Geschehnisse in St. Gallen, weil dort eine Verwandte lebt, könnte sie regionale Nachrichten aus der Region St. Gallen in Bern lesen. Vor allem die digitalen Auftritte gewisser Regionalzeitungen ermöglichen das heute schon, häufig jedoch geknüpft an Kosten, die nicht viele zu zahlen bereit sind. Ein regionenübergreifender Nachrichten-Streamingdienst könnte die Kosten eventuell senken.


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