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Tierärzte sollen Wildtiere endlich sofort behandeln dürfen

Tiere • Mit der aktuellen Jagdrevision sollen Tierärztinnen und -ärzte verletzte Wildtiere behandeln dürfen, ohne vorher eine Bewilligung einholen zu müssen. Die Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte ist erfreut, dass ihre langjährige Forderung endlich umgesetzt wird. Carole Malik gibt Auskunft. 

Frau
Carole Malik. zvg

Wird ein verletzter Vogel oder Igel aus dem Garten in die Tierarztpraxis gebracht, dürfen Tierärztinnen und Tierärzte diesen bisher nur mit einer Bewilligung behandeln. Mit der aktuellen Revision der Jagdverordnung soll sich dies ändern. Sie sieht einen Passus vor, der Tierärztinnen und Tierärzten erlaubt, pflegebedürftige Wildtiere einer ersten Behandlung zu unterziehen, ohne dafür eine Bewilligung einholen zu müssen. 

Die Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST) begrüsst dies in ihrer Stellungnahme zum Verordnungsentwurf. Die Tierärzteschaft setzt sich bereits seit mehreren Jahren für dieses Anliegen ein. Die Gesetzesänderung dient dem Tierwohl, denn im Notfall braucht ein verletztes Wildtier sofort Hilfe.

Kostenübernahme nicht geregelt 

Nicht zufriedenstellend ist aus Sicht der Tierärzteschaft jedoch, dass nach wie vor nicht geregelt ist, wer die Kosten für die Behandlungen von verletzten Wildtieren übernimmt. Diese Ausgaben gehen fast ausschliesslich zu Lasten der Tierärztinnen und Tierärzte, da in den meisten Kantonen keine gesetzliche Grundlage für eine Kostenverrechnung besteht. Es wäre begrüssenswert, wenn die Kantone als «Eigentümer» der betroffenen Tiere die Behandlungskosten übernehmen würden. Die Behandlung von verletzten Wildtieren sei eine Leistung an die Öffentlichkeit, deren Kosten nicht auf die Tierärzteschaft als Leistungserbringerin abgewälzt werden dürften.

Frau Malik, Sie sind vom Rechtsdienst der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte. Was war der Grund, warum Wildtiere hierzulande erst nach dem Einholen einer Bewilligung behandelt werden durften, falls überhaupt ein Tierarzt kontaktiert wurde? Respektive warum wurde zum Beispiel ein angefahrener Fuchs oder Rehbock erschossen und nicht via Tierarzt/-klinik gepflegt?

Carole Malik: Tierärztinnen und Tierärzte werden gemäss der bisher gültigen Gesetzgebung wie Privatpersonen behandelt und dürfen Wildtiere nur mit einer Bewilligung oder Genehmigung der Behörden behandeln. Nicht zu jeder Uhrzeit ist eine solche Bewilligung ohne Weiteres erhältlich. Es ist davon auszugehen, dass die Gesetzeslücke im Schweizer Recht auf ein normales Versehen zurückzuführen ist und man bei der Ausarbeitung der Jagdverordnung nicht an den Sonderfall der Tierärztinnen und Tierärzte gedacht hat. Bei der jetzt laufenden Revision der Jagdverordnung soll dies korrigiert werden. Die Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte begrüsst dies.

Was können Sie aus Erfahrung berichten:  ie ging man bisher mit der Situation um, wenn Tiere gebracht wurden?

Es wurden immer wieder Wildtiere in eine Tierarztpraxis gebracht, und die Tiere wurden in der Regel auch behandelt. Aber das «Risiko» lag bei den Tierärztinnen und Tierärzten, die sich in einem illegalen Rahmen bewegten. Aus diesem Grund hat sich die GST so stark dafür eingesetzt, dass dies ändert.

Braucht es zur Behandlung von Wildtieren explizit andere Kenntnisse?

Das kommt auf die Behandlung an. In vielen Fällen geht es bei Wildtieren um «unkomplizierte» Behandlungen, die jeder Tierarzt, jede Tierärztin ausführen kann, wie zum Beispiel Wurmbefall beim Igel. Geht es hingegen um komplexere Fälle, sind Fachkenntnisse sehr wichtig, zum Beispiel ein Knochenbruch bei einem Greifvogel. Es gibt viele Tierarztpraxen in der Schweiz, die Mitarbeitende mit besonderen Fachkenntnissen in diesem Bereich haben. Die GST hat eine eigene Sektion
für Wild-, Zoo- und Heimtiere (www.
svwzh.ch).

Ab wann ist es möglich, Wildtiere zu behandeln? Und was hat sich geändert, respektive wurde getan, dass dies nun «plötzlich» möglich ist?

Derzeit ist es noch nicht möglich; die Änderung ist in der Revision der Jagdverordnung vorgesehen, die derzeit läuft, aber noch nicht abgeschlossen ist.

Die GST hatte vorgängig zur letzten Revision des Jagdgesetzes (2020) regelmässig Kontakt mit dem Bundesamt für Umwelt (BAFU), das für die Gesetzesanpassungen zuständig war. Im Rahmen dieses Austausches konnte auf das Anliegen der Tierärztinnen und Tierärzte eingegangen werden, das BAFU zeigte Verständnis für die in der Praxis schwierige Situation. In der Folge wurde eine entsprechende Anpassung in das Jagdgesetz aufgenommen, aber infolge Ablehnung des Referendums wieder verworfen. Die GST blieb auch nach dem Referendum mit dem BAFU in Kontakt, aber aufgrund der damaligen politischen Lage konnte nicht sofort ein neuer Versuch gestartet werden. So dauerte es länger.

Sind nun alle Wildtiere eingeschlossen? Falls nicht, welche nicht, und warum?

Wir gehen davon aus, dass alle Wildtiere eingeschlossen sind. Der entsprechende Artikel (Art. 6) der Jagdverordnung spricht von «geschützten Wildtieren», was im Gegensatz zu den jagdbaren Wildtieren stehen würde. Die Erläuterungen zur Anpassung umfassen aber eindeutig alle Wildtiere und gehen auf das Dilemma des Tierarztes, der Tierärztin ein.

Was bedeutet dies für die Tierärzte an Mehraufwand? Und wer bezahlt die Leistungen?

Im Grundsatz bedeutet dies kein Mehraufwand, da es einzig darum geht, eine in der Praxis bestehende, problematische Situation rechtlich richtigzustellen. Es könnte allenfalls dazu führen, dass mehr Privatpersonen verletzte Wildtiere in eine Tierarztpraxis bringen. Dies wiederum wirft die Frage der ungedeckten Kosten auf: Tierärztinnen und Tierärzte führen die Behandlungen von Wildtieren heutzutage fast immer auf eigene Kosten durch, sie können nichts verrechnen. Sie machen das selbstlos aus einem Tierschutzgedanken heraus. Die Kosten können über das ganze Jahr beträchtlich sein. Aus diesem Grund fordert die GST, dass die Behandlungskosten ganz oder zumindest teilweise zu decken wären – sei dies über die Kantone, über einen nationalen Fonds oder ähnliches.

Ist es richtig, dass die Berufsgruppe der Tierärzte unter starker Überforderung -leidet, und falls ja, worin liegt die Lösung?

Tierärztinnen und Tierärzte sind in ihrem Beruf grossen Belastungen ausgesetzt – sei dies durch die hohen fachlichen Anforderungen, den Fachkräftemangel, die Ansprüche der Kundschaft, aber auch durch die strengen Arbeitsbedingungen. Einfache «Lösungen» gibt es nicht, es gibt politische Forderungen von unserer Seite. Die GST setzt darüber hinaus verschiedene Massnahmen zu Mental Health um. Generell stellen ein verständnisvoller und respektvoller Umgang vonseiten der Kundschaft sowie eine faire Entschädigung der tierärztlichen Leistungen wichtige Bestandteile für eine Verbesserung des Berufsstandes dar.

Falls nun auch Wildtiere behandelt werden, was natürlich sehr gut ist, kann dies doch dazu beitragen, dass die Zeit der Tierärzte weiterhin beeinflusst wird und niemand für die Kosten aufkommt? 

Wie bereits erwähnt, ist eine starke Zunahme nicht sehr wahrscheinlich, weil es eben Tatsache ist, dass Wildtiere schon heute behandelt werden, aber eben teilweise ohne rechtliche Grundlage. Ein Austausch mit den Kantonen zu den ungedeckten Kosten wäre sicher-lich wünschenswert.

Was geschieht nach der Behandlung mit den Tieren? Werden sie ausgewildert?

Das kommt auf den Gesundheitszustand des einzelnen Tieres an und ob es neben der Soforthilfe auf langfristige Therapie angewiesen ist. Wenn ein Tier nach erfolgter Sofortbehandlung in freier Wildbahn überlebensfähig erscheint, wird es in der Regel wieder ausgewildert. Benötigt es noch langfristige Unterstützung, wird versucht, es an eine geeignete Auffangstation zu vermitteln. Das Ziel muss aber immer die Auswilderung sein.

Wer entscheidet, ob ein Tier «noch» behandelt werden kann oder ob es eingeschläfert werden soll? Welche Arten von Verletzungen dienen als Argument dafür oder dagegen?

Die Tierärztin oder der Tierarzt nimmt die Beurteilung des Gesundheitszustandes bei Erstvorstellung vor. Muss vermutet werden, dass das Tier trotz kurz- oder langfristiger Therapie unter relevanten und langfristigen Einschränkungen leiden wird, durch welche seine Überlebenschancen massiv sinken – zum Beispiel wenn ein Vogel nur noch ein funktionales Auge hat –, wird das Tier in der Regel erlöst.


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