Regierungsrat darf sparen – obwohl er das eigentlich nicht will
Grosser Rat | Der Kanton soll für Steuersenkungen auch Sparmassnahmen prüfen. Damit wendet sich die Mitte-Fraktion gegen ihre Regierungsrätin.

Das Berner Kantonsparlament befürwortet die geplanten Steuersenkungen. Am vergangenen Donnerstag hat der Grosse Rat die Steuerstrategie bis 2030 zur Kenntnis genommen. Dabei hat er auch Sparmassnahmen nicht ausgeschlossen, um die Steuersenkungen zu finanzieren. Und damit dem Regierungsrat mehr Mittel in die Hand gegeben, als dieser gefordert hatte.
Das Ziel der neuen Steuerstrategie ist schon länger bekannt: Bern will von seinem schlechten Rang im Steuervergleich und seinem Ruf als Steuerhölle wegkommen. Im Vergleich mit anderen – insbesondere benachbarten – Kantonen sind die Berner Steuerbelastungen hoch. Das soll sich nun zumindest ein Stück weit ändern: Man wolle mit der Strategie «näher an das interkantonale Mittelfeld rücken», erklärte Daniel Bichsel, SVP-Grossrat und Präsident der Finanzkommission.
Federführend an der neuen Strategie war Mitte-Regierungsrätin und Finanzdirektorin Astrid Bärtschi. Sie macht als einzige Mitte-Politikerin in der siebenköpfigen Regierung die Mehrheiten. In der Steuerstrategie schien sie um austarierte Lösungen bemüht. So sah die Steuerstrategie auch eine Glättung der Progression für tiefe Einkommen vor. Gerade beim unteren Mittelstand schneidet der Kanton Bern betreffend Steuerbelastung besonders schlecht ab. Zudem sicherte sie im Strategieentwurf zu, dass die Steuersenkungen nicht mit Sparmassnahmen finanziert werden könnten.
Mit beiden Anliegen ist die Regierungsrätin nun an der Ratsmehrheit abgeprallt – und auch an der Fraktion ihrer eigenen Partei. Die Mitte-Fraktion gab gemeinsam mit der GLP-Fraktion den Ausschlag für die Entscheide des Parlaments. Und sie stimmte geschlossen für zwei Planungserklärungen, die ihren Vorschlägen entgegenliefen.
Mitte gegen Bärtschi – Linke scheitert
So forderte die Finanzkommission mit einer Planungserklärung, dass mehr Geld in die Senkung der Steueranlagen gesteckt wird als in die Glättung der Progression und dass die Steueranlagensenkungen gegenüber der Progressionsglättung zeitlich nicht nachgelagert werden soll. Damit wolle man verhindern, dass «vor lauter ehrbarem Engagement für die tiefen Einkommen plötzlich die Senkung der Steueranlagen vergessen geht», so SVP-Grossrat Michael Freudiger. Finanzdirektorin Bärtschi beteuerte vergeblich, dass derselbe Umfang und die zeitliche Abstufung völlig ausreichen würden.
Die zweite Planungserklärung widmete sich der Frage, wie die tieferen Steuereinnahmen kompensiert werden sollen. Der Regierungsrat hatte im Vorfeld der Parlamentsdebatte kategorisch ausgeschlossen, dass die Senkungen mit Sparmassnahmen finanziert werden könnten. Auch dem widersprach die Finanzkommission. Sie forderte, dass auch Gegenfinanzierungen über Effizienzsteigerung, Personalentscheide in der Verwaltung, Leistungsabbau oder die Redimensionierung geplanter Investitionen geprüft werden sollten.
Es gehe nicht darum, einen Kahlschlag einzufordern, der ohnehin keine Mehrheiten finden werde. Aber: «Wir wollen uns keine Denkverbote auferlegen», erklärte Fiko-Präsident Bichsel am Donnerstag. Zustimmung gab es dafür wieder geschlossen von den Zentrums-Parteien.
Das überrascht. Gerade die Grünliberalen hatten im letzten Herbst noch zugesichert, dass die Senkungen auf keinen Fall zu Sparmassnahmen führen dürften. Die Kehrtwende erklärt GLP-Grossrat Tobias Vögeli damit, dass die Prüfung aller Massnahmen gerade aufzeige, welche dramatischen Auswirkungen ein solcher Kahlschlag im Vergleich zu anderen Massnahmen haben könnte.
Die Linke wollte am Donnerstag ihrerseits ebenfalls «Denkverbote aufheben» und alte Vorschläge wieder auf das Tapet bringen. Damit blitzte sie aber ab. Die Debatte fiel zwar hitzig aus: Die Rede war von einer «Steuerverlier-Strategie» (Rahel Ruch, Grüne), von «Gerechtigkeitswüsten» (Urs Graf, SP) und, immer wieder und auf allen Seiten, von Denkverboten. Man erhalte zuweilen den Eindruck, «man sei schon fast ein Schwerverbrecher, wenn man seine Steuern zu zahlen vermag», sagte FDP-Fraktionspräsident Carlos Reinhard. Von der Einführung von Steuergutschriften über progressive Klimasteuern, die Erweiterung der Erbschaftssteuer bis hin zu einer Abschaffung der Pauschalbesteuerung blieb die Kommissionsminderheit mit ihren sechs Planungserklärungen denn auch chancenlos. Sie nahm die Steuerstrategie mit den Erklärungen der Kommissionsmehrheit damit auch nicht zur Kenntnis. Angenommen wurde diese trotzdem deutlich mit 100 Ja- zu 44 Nein-Stimmen.
Die Stossrichtung ist damit klar: Das rote Berner Schlusslicht soll nicht zur Dauerbeleuchtung werden. Wer für die Senkungen zahlt, wird sich aber erst in den konkreten Budgetdebatten im Herbst zeigen.
Entlastung für niedrige Einkommen
Der Kanton Bern ist eine «Steuerhölle». So sagen es jedenfalls bürgerliche Politiker seit Jahren. Es mag sich um einen politischen Kampfbegriff handeln, aber er ist auch nicht aus der Luft gegriffen. Der Kanton Bern gehört bei allen Haushaltskategorien und Einkommensklassen zu den teuersten Kantonen der Schweiz, bisweilen ist er sogar der teuerste von allen.
Die Kantonsregierung weiss um den schlechten Platz in der Steuerrangierung – und möchte handeln. Ab 2025 sollen Haushalte weniger Steuern bezahlen müssen. Allzu viel macht die geplante Steueranlagensenkung aber nicht aus. Die kantonalen Steuern sänken dadurch für alle um 4,13 Prozent. Eine alleinstehende Person mit mittlerem Einkommen müsste entsprechend statt 5512 Franken noch 5284 Franken Kantonssteuern bezahlen. Für den Kanton bedeutete das Mindereinnahmen in der Höhe von 80 Millionen Franken jährlich. Im Vergleich mit den anderen Kantonen stünde man noch immer schlecht da. Wie aus der Steuerstrategie hervorgeht, ist das aber erst der Anfang. Bis 2030 sollen insgesamt 200 Millionen Franken in Steuer-senkungen gesteckt werden. Weitere 200 Millionen Franken sollen in Steuersenkungen für Haushalte mit niedrigem Einkommen fliessen. Eine Familie mit mittlerem Einkommen würde durch die geplante Anlagensenkung 250 Franken pro Jahr sparen, eine Familie mit 75 000 Franken Jahresbruttoeinkommen rund 120 Franken. Bei einer Familie mit 220 000 Franken Jahresbruttoeinkommen, die zu den fünf Prozent einkommensstärksten gehört, beträgt die Einsparung aber rund 900 Franken.
Bei den Unternehmen soll die Steueranlage gemäss der Steuerstrategie bis 2027 von 2,82 auf 2,38 gesenkt werden. Dies würde für den Kanton rund 100 Millionen Franken Mindereinnahmen bedeuten. Für die Rechte war rasch klar, dass man dadurch auch Sparmassnahmen ins Auge fassen muss.
Das bernische Steuergesetz bestimmt seit 2014, dass der Regierungsrat die Ziele der Steuerpolitik in einer Steuerstrategie festzulegen hat.
Fabian Christl/Adrian Hauser