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«Der Kanton Bern liegt an letzter Stelle»

Interview | Der Kanton Bern gilt gemeinhin als Steuerhölle. Wenn Unternehmen wegziehen, verliert der Kanton Steuersubstrat und Arbeitsplätze. Wie die Steuersituation im Kanton aussieht, erklärt Frank Roth, Leiter der Steuerabteilung Bern der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG.

| Adrian Hauser | Gesellschaft
Steuern
Frank Roth ist seit über 20 Jahren im Steuerbereich tätig mit Fokus auf nationale und inter-nationale Strukturierungen sowie den Finanzsektor. Foto: zvg

Rund 20 Prozent der juristischen Personen tragen im Kanton Bern mehr als 90 Prozent der Steuerlast. Wie ist dies möglich?

Frank Roth: Im Gegensatz zum Bund und einigen anderen Kantonen kennt der Kanton Bern eine progressiv ausgestaltete Gewinnsteuer. Mit dem Dreistufentarif werden höhere Gewinne mit einem höheren Steuersatz belastet. Diese Mehrbelastung höherer Gewinne ist gewollt.

Ohne jemandem etwas unterstellen zu wollen: Welche legalen Wege gibt es für Unternehmen, die Steuern zu «optimieren»?

Der Gesetzgeber sieht bewusst Möglichkeiten vor, die Steuerlast zu reduzieren. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang insbesondere die im Jahr 2020 eingeführte Patentbox sowie der Sonderabzug für Forschung und Entwicklung. Damit soll innovative Tätigkeit gefördert werden. Zudem können Firmen beispielsweise bei Umstrukturierungen und Sanierungen sparen, indem sie die Transaktionsschritte so wählen, dass möglichst keine Steuern anfallen. Andernfalls könnten Steuern anfallen, obwohl wirtschaftlich kein Mehrwert geschaffen worden ist – dies im Widerspruch zum Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.

Gibt es auch Unternehmen, die schummeln? Wie ist das möglich?

Wie bei den Privatpersonen wird es wohl auch bei den Unternehmen Steuerpflichtige geben, die ihre Steuererklärung nicht korrekt ausfüllen, um weniger Steuern zahlen zu müssen. Neben der unzulässigen Gewinnverlagerung von Hoch- zu Tiefsteuerländern fiele zum Beispiel auch die Geltendmachung eines privaten Abendessens mit Familie als Geschäftsaufwand darunter.

Wie entscheidend ist die Steuerlast für den Erfolg eines Unternehmens im Kanton Bern?

Ob ein Unternehmen erfolgreich ist oder nicht, hängt primär vom Geschäftsmodell ab. Eine hohe Steuerlast reduziert jedoch die Mittel, die am Ende des Geschäftsjahres übrig bleiben und bei Bedarf reinvestiert werden können. Insofern spielen steuerliche Überlegungen bei der Standortwahl und bei Investitionsentscheiden eine wichtige Rolle.

Was ist die Patentboxentlastung, und wie funktioniert sie?

Mit der Patentbox werden Reingewinne, die auf Patente oder vergleichbare Rechte entfallen, ermässigt besteuert, wobei die Entlastung maximal 90 Prozent betragen darf. Im Unterschied zu einigen anderen Kantonen nutzt der Kanton Bern hier seinen Entlastungsspielraum maximal aus; somit unterliegen lediglich 10 Prozent des Patentboxgewinns der Besteuerung. Erwähnenswert ist zudem, dass der Kanton Bern im Vergleich zu anderen Kantonen eine sehr attraktive Lösung für den Patentboxeintritt vorsieht. Entsprechend gering sind die Steuerfolgen eines Eintritts. Die Geltendmachung der Patentbox bedingt insbesondere ein Patent (oder vergleichbares Recht) auf einem Produkt oder einem Verfahren. Erste Erfahrungen zeigen, dass die Patentbox jeweils basierend auf einem Patent geltend gemacht wird. Die vergleichbaren Rechte wie ergänzende Schutzzertifikate oder Sortenschutzrechte haben eine untergeordnete Bedeutung. Die Patentbox kann nur durch Steuerpflichtige genutzt werden, die selbst qualifizierende Forschungs- und Entwicklungsausgaben hatten, die zu den betreffenden Einkünften führten.

Viele Unternehmen wandern wegen des hohen Steuersatzes vom Kanton Bern ab. Was bedeutet dies für den Kanton?

2022 haben gemäss der Wirtschaftsauskunft «CRIF» netto 74 Unternehmen den Kanton Bern verlassen, während beispielsweise die Nachbarkantone Freiburg und Solothurn eine Netto-Zuwanderung von Unternehmen verzeichneten. Für den Kanton Bern bedeutet dies nicht nur einen entsprechenden Verlust von Steuersubstrat, sondern auch von Arbeitsplätzen. Wenn auch die Arbeitnehmenden wegziehen oder – was wohl noch eher der Fall sein dürfte – bei neuem Stellenantritt nicht in den Kanton Bern ziehen, verliert der Kanton Bern zusätzliches Steuersubstrat bei den natürlichen Personen.

Der Kanton Bern gilt im schweizweiten Vergleich als Steuerhölle. Welche anderen Vorteile hat der Kanton als Wirtschaftsstandort?

Tatsächlich liegt der Kanton Bern im interkantonalen Steuervergleich an letzter Stelle. Er ist jedoch aufgrund seiner zentralen Lage zwischen der Deutsch- und der Westschweiz und seiner Zweisprachigkeit dennoch attraktiv für Unternehmen, insbesondere für diejenigen, welche in beiden Märkten tätig sind. Zudem sind die grossen internationalen Flughäfen Zürich, Basel und Genf gut erreichbar. In Zeiten des Fachkräftemangels punktet der Kanton Bern ausserdem mit einer Universität mit Universitätsspital und zwei Fachhochschulen.

Vorgesehen ist eine Steueranlagesenkung von zwei Steuerzehnteln. Welche Folgen hat das für den Kanton, und welche für Unternehmen?

Der Grosse Rat hat die Steueranlage für juristische Personen um zwei Steuerzehntel von 2.820 auf 2.620 gesenkt. Durch diese Steueranlagesenkung reduziert sich der maximale effektive Gewinnsteuersatz von 21,04 auf 20,54 Prozent. Im Vergleich hierzu: Das schweizerische Mittel lag 2023 bei 14,60 Prozent. Damit liegt der Kanton Bern trotz der Steueranlagesenkung weiterhin auf dem letzten Platz der Schweizer Kantone.

Die Verlustverrechnungsperiode soll von sieben auf zehn Jahre ausgedehnt werden. Was bedeutet das?

Entsprechend dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit können Unternehmen Verluste, die sie in einem Jahr erleiden, mit den Gewinnen der Folgejahre verrechnen. Rein steuersystematisch wäre eine unbefristete Verlustverrechnung richtig. Politisch wurde die Verlustverrechnung aber auf sieben Jahre beschränkt, mit der Folge, dass Verluste verfallen können. Die Ausdehnung der Periode von sieben auf zehn Jahre vermindert das Risiko, dass Verluste verfallen und nicht mehr verrechnet werden können. Für Bund, Kantone und Gemeinden können dadurch ab 2028 Mindereinnahmen resultieren. Mangels Daten lässt sich deren Höhe laut erläuterndem Bericht des EFD aber nicht abschätzen.

Wie kann man die Steuersituation für juristische Personen verbessern?

Die Steuersituation für juristische Personen kann insbesondere durch Senkung der Steuerlast verbessert werden. Der Regierungsrat hat in der Steuerstrategie 2023 das Ziel definiert, die Steuerbelastung in Richtung Mittelfeld der Kantone zu bewegen. Diese Stossrichtung soll jedoch nicht nur den juristischen, sondern auch den natürlichen Personen zugutekommen. Dies ist zu begrüssen, da der Kanton Bern auch für natürliche Personen steuerlich unattraktiv ist und – wenn man die maximalen Einkommenssteuersätze vergleicht – zwar nicht auf dem letzten, so doch auf dem viertletzten Platz liegt.

Bei den direkten Bundessteuern der natürlichen Personen tragen 10 Prozent fast 80 Prozent der Steuerlast. Warum ist das so?

Die direkte Bundessteuer ist ausgesprochen progressiv ausgestaltet. Das heisst, die Steuer steigt nicht proportional zum Einkommen, sondern deutlich überproportional. Entsprechend zahlt die Person, die mehr verdient, nicht nur absolut, sondern auch prozentual mehr Steuern. Auch der Kanton Bern kennt eine im Vergleich zu den übrigen Kantonen stark ausgeprägte Progression. So tragen rund 8 Prozent der Steuerzahler mit dem höchsten Einkommen knapp 35 Prozent der Kantonssteuerlast. Auch hier greift die politisch gewollte Steuerprogression mit dem Ziel eines sozialen Ausgleichs.

Welche legalen Möglichkeiten haben natürliche Personen, um die Steuerabgaben zu senken?

Neben Drittbetreuungskosten für Kita oder Tagesschule sind insbesondere Einkäufe in die Pensionskasse und Einzahlungen in die dritte Säule zu erwähnen. Im Zusammenhang mit Liegenschaften können Kosten für werterhaltende Massnahmen sowie Investitionskosten, die dem Energiesparen und Umweltschutz dienen, vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden. Wichtig ist, die entsprechenden Belege zu sammeln, damit die geltend gemachten Kosten auch nachgewiesen werden können.

Wieviel Geld verliert der Kanton jährlich durch Steuerhinterziehung?

Mangels Daten lässt sich diese Frage nicht beantworten. Da die nicht entdeckten Fälle der Steuerhinterziehung selbstredend im Dunkeln bleiben, wird es wohl auch für die Steuerverwaltung schwierig sein, eine Schätzung abzugeben. Wesentlich erscheint mir in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass mit dem automatischen Informationsaustausch ein Instrument eingeführt wurde, das die grenzüberschreitende Steuerhinterziehung massgebend eindämmt.

Wie ist Steuerhinterziehung überhaupt möglich, und wie wird dagegen vorgegangen?

Grundsätzlich obliegt es den Steuerpflichtigen, ihre Einkünfte korrekt zu deklarieren. Eine Besteuerung an der Quelle kennen wir in der Schweiz nur in spezifischen Fällen. Entsprechend ist die Mitwirkungspflicht der steuerpflichtigen Person im Veranlagungsverfahren zentral. Wenn eine steuerpflichtige Person vorsätzlich oder auch fahrlässig falsche Angaben macht, oder relevante Tatsachen verschweigt, mit der Folge, dass keine oder eine zu tiefe Steuer erhoben wird, liegt eine Steuerhinterziehung vor. Für die Aufdeckung und Ahndung von Steuerhinterziehungen ist die Steuerverwaltung zuständig. Wer zum Zwecke der Steuerhinterziehung zudem gefälschte, verfälschte oder inhaltlich unwahre Urkunden wie Geschäftsbücher, Bilanzen, Erfolgsrechnungen oder Lohnausweise und andere Bescheinigungen Dritter zur Täuschung gebraucht, begeht einen Steuerbetrug. Für solche Fälle sind dann die Strafverfolgungsbehörden zuständig.

Wie könnte man die Steuersituation für natürliche Personen verbessern?

Auch hier gilt: Die Steuersituation kann insbesondere durch Senkung der Steuerlast verbessert werden. Wie erwähnt, umfasst die Steuerstrategie 2023 des Kantons Bern nicht nur juristische, sondern auch natürliche Personen. Entsprechend soll auch die Steuerbelastung für natürliche Personen gesenkt werden. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass wesentlich mehr Personen im Kanton Bern arbeiten und ausserkantonal wohnen als umgekehrt. Aufgrund dieses negativen Pendlersaldos entgehen dem Kanton jährlich Steuern im dreistelligen Millionenbereich. Eine Verbesserung der Steuersituation für natürliche Personen könnte dazu führen, dass Personen, die im Kanton Bern arbeiten, vermehrt auch im Kanton Bern wohnen und Steuern zahlen.

Wie würde sich eine generelle Steuersenkung für natürliche und juristische Personen auf die Einnahmen des Kantons auswirken? Ist tatsächlich mit Verlusten zu rechnen, oder würde sich dies durch den Zuzug von Unternehmen und Personen ausgleichen?

In einer ersten Phase kann eine Steuersenkung zu Mindereinnahmen führen. Diese Mindereinnahmen müssen vom Gemeinwesen gestemmt werden können. Meines Erachtens wesentlich ist aber insbesondere die mittelfristige Sicht. Wie entwickelt sich ein Gemeinwesen für die Wohnbevölkerung und die Unternehmen? Welche Signale werden ausgesendet?

Welche Reformen sind zurzeit in Gang, und wie beurteilen Sie diese?

Die geplante Steueranlagesenkung bei natürlichen Personen um 0,5 Steuerzehntel wurde auf 2025 verschoben. Diese Senkung der Steueranlage wird den Kanton Bern im Vergleich zu den anderen Kantonen steuerlich noch nicht wesentlich attraktiver machen. Weitere Senkungen sind aber in Diskussion. Auf nationaler Ebene ist neben der seit Langem diskutierten Abschaffung des Eigenmietwerts die Einführung der Individualbesteuerung zu erwähnen. Künftig sollen Ehepaare wie unverheiratete Paare besteuert werden. Diese Individualbesteuerung soll auf allen drei Staatsebenen Bund, Kanton und Gemeinde eingeführt werden. Die Entwicklung ist aus meiner Sicht zu begrüssen, da die Besteuerung unabhängig vom Zivilstand erfolgen sollte.


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