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«Ich glaube, Thun hat darauf gewartet»

Fitness | Angela Oschwald ist zertifizierte Pole-Fitness-Instruktorin und Inhaberin des Bahia Dance Studios in Thun. Sie schuf damit einen Ort, an dem sich alle Frauen wohlfühlen können. Über die Faszination für die noch allzu oft übersehene Sportart an der Stange berichtet die zweifache Mutter im Interview.

| Janine Friedrich | Gesellschaft
Pole Dance
Angela Oschwald will einen Raum schaffen, in dem sich alle Frauen wohl fühlen. Foto: Millie Robson/zvg

Wie sind Sie zum Pole Dance gekommen?
Früher waren Surfen und Yoga meine Lieblingssportarten, denen ich mich jahrelang gewidmet habe. Doch irgendwann suchte ich einen Sport, bei dem ich mich als Frau noch stärker, freier und gleichzeitig weiblicher fühlen konnte und besuchte 2011 das erste Mal eine Probelektion in Pole Dance. Ich war sofort begeistert und es wurde meine grosse Leidenschaft. Nur eines gefiel mir damals nicht: die Atmosphäre im Studio. Relativ schnell wurde mir klar, dass, wenn ich Pole Dance in einem Studio praktizieren möchte, in dem ich mich rundum wohlfühle, ich das selbst verwirklichen muss. 

Und das haben Sie dann auch gemacht. Wie kam alles ins Rollen?
Nach der Geburt meines ersten Kindes habe ich die Ausbildung zur zertifizierten Pole-Fitness-Instruktorin gemacht und anschliessend ein Studio in Thun gesucht. Auch zukünftige Kurse hatte ich bereits ausgeschrieben. Der Plan wäre eigentlich gewesen, dass ich in einem kleinen Raum mit vier, fünf Stangen Pole Dance unterrichte und mir etwas dazuverdiene. Doch spannenderweise hatte ich direkt 80 Anfragen von interessierten Frauen. Da wusste ich: Ich brauche einen grösseren Raum und auch Mitarbeiterinnen. So entstand das Bahia Dance Studio am Malerweg 2.

Die Anfragen kamen und kommen sicher von ganz unterschiedlichen Frauen?
Ja, von Anfang an war wirklich alles mit dabei. Ich hätte nie gedacht, dass so viele Frauen Pole Dance machen möchten. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass Thun darauf gewartet hat, dass ich mich dafür entscheide, ein Studio zu eröffnen. Meine Vision von einem Ort, an dem sich jede Frau wohlfühlt, war also nicht nur mein Verlangen, sondern auch das von vielen anderen Frauen oder Mädchen in der Umgebung. Mein Studio sollte von Anfang an ein neutraler Ort des Respekts sein, wo alle, die möchten, trainieren können. Mittlerweile hat sich etwas viel Grösseres daraus entwickelt.

Was genau?
Es ist ein Platz der Bewegung und des Wohlfühlens entstanden. Hier fliessen so viele Bewegungen zusammen und es werden ganz unterschiedliche Stile und Komponenten praktiziert. Bei Bahia hat es für alles Raum – egal, ob Pole Dance, Stretching, Yoga, Tanz, Kraft- oder Konditionstraining. Und das Wichtigste ist: Die Energie stimmt. Die Grundstimmung im Studio ist Akzeptanz, einem selbst und anderen gegenüber. Ich bin sogar nach zehn Jahren noch erstaunt, wie selbstverständlich es ist, dass hier einfach diese gute Atmosphäre herrscht. So viele erwähnen immer wieder, wie einzigartig das ist. Es gibt welche, die sagen, dass ich das so extrem vorlebe, aber ich finde es vor allem schön, was für eine Riesenwelle es nach sich zieht.

Das habe ich bei meinem ersten Besuch hier auch gespürt. Was ist denn Pole Dance für Sie?
In erster Linie würde ich sagen, es ist ein Körpertraining, aber auch eine Möglichkeit, Energien zu verarbeiten und Gedanken loszulassen. Es ist ein langer Weg zu sich selbst. Ich finde, es reflektiert mich immer wieder; egal, wo ich mich gerade im Leben befinde; egal, wie ich mich fühle; ob es mir gut oder schlecht geht. Ich habe stets meine eigene Beziehung mit der Pole und habe das Gefühl, dass es mich immer ein bisschen aus meiner Komfortzone bringt. Das ist wohl die Essenz: Pole Dance zeigt dir deine Beziehung zu dir selbst immer wieder auf; es lässt dich wachsen, wenn du das zulässt, und stärkt die Liebesbeziehung zu dir selbst.

Gibt es etwas Bestimmtes, was Sie das Training gelehrt hat?
Dass mein Körper nicht nur (gut) aus-sehen muss, sondern wie unglaublich es ist, was unser Körper alles leisten kann und wie wichtig es ist, dafür dankbar zu sein. Mir hat Pole Dance sehr viel Selbstvertrauen gebracht, nicht im optischen Sinn, sondern auf die Fragen bezogen: «Wozu bin ich fähig mit meiner eigenen Kraft?» «Was kann ich alles erreichen?» Es hat mich gestärkt, und das tut es immer noch. Ich habe gelernt, wie eng körperliche Stärke und mentale Stärke miteinander verknüpft sind und dass sie sich gegenseitig beeinflussen. Daher ist der Sport schon eine Art mentales Empowerment. Für viele sieht Pole Dance zunächst tatsächlich wie ein Ding der Unmöglichkeit aus, und sie trauen sich das gar nicht zu. Doch alle können es lernen, und diesen Prozess begleiten wir im Studio. Alle, die einmal hier waren, merken schnell, dass es ein anstrengender Sport ist, der aber auch sehr viel Spass macht und bei dem man schnell Fortschritte erzielen kann mit seiner eigenen Kraft.

Kommen die Frauen denn auch mit Zielen wie diesen ins Bahia Dance Studio?
Viele schon: Mehr Flexibilität, mehr Kraft, Abnehmen, mehr Weiblichkeit, Selbstvertrauen, Selbstliebe und Selbstakzeptanz – das sind die meisten körperlichen und mentalen Ziele, welche die Frauen nennen, wenn sie das erste Mal hier hereinspazieren. Spannend ist aber, was sich dann wirklich entwickelt. Viele erkennen nämlich, dass das Ziel allein gar nicht so erfüllend und der Weg dahin viel wichtiger ist. Oder eben: dass der Körper viel mehr kann als nur eine bestimmte Zahl auf der Waage zu erreichen oder keine Zellulite mehr zu haben. Es geht um das ganze Drumherum: den Körper kennenzulernen; zu verstehen, was er leisten kann; um die Freude an der Bewegung und da-rum, über die eigenen Grenzen hinauszuwachsen.

Die Frage ist sicher auch: Sind es überhaupt die eigenen Ziele, oder ist es der Druck von aussen?
Genau. Deshalb sage ich: Komm einfach aus irgendeinem Grund, mach dich mal auf den Weg, und lass dich darauf ein, was daraus entsteht. In der Community lernt man neue Leute kennen, führt interessante Gespräche, kommt vielleicht mit Themen in Berührung, mit denen man vorher nichts zu tun hatte, spürt den Zusammenhalt und die geballte weibliche Energie, die wir hier zelebrieren. Es gibt Frauen, die kommen, um sich weiblicher zu fühlen, und dann gibt es die, die kommen, um einfach eine coole, akrobatische Sportart zu machen. Vielleicht entdecken sie hier zusätzlich etwas über Selbstliebe, vielleicht aber auch nicht. Nicht alle Frauen sind hier, um mit Pole Dance etwas zu finden, was sie spirituell weiterbringt. Für mich braucht es jedoch einfach diese Möglichkeit und den Raum für mehr. 

Themen wie Selbstliebe, Körperneutralität und Körperpositivität sind also sehr präsent?
Definitiv. Unser Konzept ist schon vor allem auf Selbstliebe ausgelegt und ich stehe auch dahinter. Gleichzeitig habe ich gemerkt – auch bei mir selbst –, dass es nicht immer möglich ist, in dieses positive Körpergefühl zu kommen. Da hilft die Körperneutralität, sozusagen als Wegweiser: akzeptieren, was da ist, und dankbar für das sein, was der Körper leistet. Gerade bei traumatisierten Menschen hat das einen viel grösseren Mehrwert als reine Selbstliebe oder Körperpositivität. Wichtig ist, dass all diese Bewegungen einen gesunden Mix bilden und sich nicht gegenseitig abwerten oder zu stark in eine Richtung kippen, die dann nicht mehr hilfreich oder gar ungesund ist.

Was glauben Sie: Weshalb wird Pole Dance als Sportart oft noch nicht ganz ernst genommen?
Hier spielt die patriarchalische Gesellschaftsstruktur sicher eine Rolle. Einige sind heute noch der Überzeugung, dass die Weiblichkeit und Lust der Frau in der Öffentlichkeit nicht gelebt werden darf. Hinzu kommt das Vorurteil, dass Frauen an der Stange in den Stripclub gehören und diese Form der Bewegung bei manchen als billig in den Köpfen abgespeichert ist, unterschätzt oder belächelt wird. Wenn man sich jedoch mit Pole Dance befasst, entdeckt man, dass der Ursprung davon sehr weit zurückreicht: Die Akrobatik an der Stange wurde bereits im 12. Jahrhundert als kulturelle Tradition im alten China ausgeübt, und zwar ausschliesslich von Männern. Erst viel später kam der Sport in die Zirkusse und durch Burlesque in die Nachtclubs.

Was braucht es noch, um vom Stripclub-Image wegzukommen?
Wie in allen anderen Bereichen auf der Welt auch: noch mehr Akzeptanz für anderes, für Diversität. Wir bewegen uns in eine gute Richtung und sind gerade dabei, zu lernen, dass weibliche Energie nichts zu Verurteilendes ist. Als Sport ist Pole Dance zudem bereits vom Dachverband der Welt-Sportverbände offiziell anerkannt worden; die Zulassung zu den Olympischen Spielen folgt hoffentlich auch bald. In vielen Ländern ist es zudem immer noch ein reiner Männersport – eine Mischung aus Akrobatik und Kunstturnen an der Stange. Die besten Pole-Tricks habe ich sogar von Männern gelernt. In der Schweiz kam der Hype allerdings noch nicht an. Vielleicht müssten wir das mal wagen: ein Studio für Männer. Da gibt es ja ebenfalls genug Vorurteile. Es wäre spannend, auch da mehr Akzeptanz zu schaffen.


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