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«Wir wollen keine Zweiklassenmedizin»

Prämienentlastungs-Initiative | Die Krankenkassenprämien steigen und steigen, wobei die Teuerung kaum ausgeglichen wird. Dies führt dazu, dass der Mittelstand zunehmend unter Druck gerät. Die SP will deshalb, dass die Krankenkassenprämien zehn Prozent des Einkommens nicht übersteigen.

| Adrian Hauser | Politik
Operation
Die Kosten des Gesundheitswesens explodieren – und die Prämien auch. Bild: Pixabay

«In den letzten zwanzig Jahren haben sich die Krankenkassenprämien mehr als verdoppelt, während die Löhne nur um zwölf und die AHV um drei Prozent gestiegen sind. Das bringt immer mehr Menschen in finanzielle Schwierigkeiten», sagt Ueli Egger, SP-Grossrat aus dem Berner Oberland und Co-Präsident der SP Kanton Bern. Als das Krankenkassenobligatorium eingeführt worden sei, habe man mit maximal acht Prozent des Einkommens gerechnet. Heute würden die Kosten für die Krankenkassenprämien teilweise über zehn Prozent des Einkommens betragen. «Das gilt es zu korrigieren!», so Ueli Egger weiter.

Die SP hat deshalb die Prämienentlastunginitiative lanciert, die am 9. Juni zusammen mit weiteren Vorlagen vors Volk kommt. Diese verlangt, dass die Prämien für die Krankenkassen zehn Prozent des Einkommens nicht übersteigen dürfen. Das System ist gemäss der SP aus dem Gleichgewicht geraten. Auch die Entlastung von Personen mit niedrigen Einkommen durch Beiträge des Kantons funktioniere nicht mehr. Denn gewisse Kantone würden die Beiträge kürzen, und in der Folge würden immer mehr Menschen mit den «explodierenden Prämien» alleine gelassen. Auch für die Mittelschicht seien die Prämien inzwischen viel zu hoch. «Menschen mit Einkommen zwischen vierzig- und siebzigtausend Franken leiden im Kanton Bern nicht nur unter der steilsten Steuerprogression, sondern gelangen auch kaum zu Prämienverbilligungen», sagt Ueli Egger. «Zu den steigenden Krankenkassenprämien kommen steigende Mieten und nicht versicherte Zahnarztkosten, welche nicht in die Teuerung eingerechnet werden.» Kurz: «Die Prämienexplosion hat das System zerstört.»

Zweiklassenmedizin

Gemäss der SP würden sich zudem viele Versicherte für höhere Franchisen entscheiden, um die Kosten für die Prämien tief zu halten. Dadurch kann man zwar pro Jahr rund 1500 Franken sparen, doch allfällige Arztbesuche oder Behandlungen müssen bis zum Erreichen der Franchise selbst berappt werden. Dies hat gemäss der SP zur Folge, dass gewisse Leute auf einen Arztbesuch verzichten, obwohl er vielleicht nötig wäre. In einer Sotomo-Umfrage haben kürzlich fast 20 Prozent der Bevölkerung angegeben, im letzten Jahr aus finanziellen Gründen auf einen Arztbesuch verzichtet zu haben. Dies führt gemäss der SP zu einer Zweiklassenmedizin. 

Bürgerliche Parteien wie etwa die FDP und auch die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) lehnen die Initiative ab. Die FDP spricht von einer «teuren Pflästerlipolitik», die GDK führt ins Feld, dass damit die eigentlichen Pro-bleme im Gesundheitswesen nicht gelöst würden. Diese seien das Kostenwachstum, die Spital- und Pflegefinanzierung, die Digitalisierung und der Fachkräftemangel. Die Annahme der Initiative hätte gemäss der GDK jährliche Mehrkosten für Bund und Kantone von bis zu fünf Milliarden Franken zur Folge. Im ungünstigsten Szenario könnten die Mehrkosten bis 2030 sogar auf bis zu 11,7 Milliarden Franken ansteigen. Auch der indirekte Gegenvorschlag von Bundesrat und Parlament lehnt die GDK ab. Mit dem Gegenvorschlag sollen die Kantone dazu verpflichtet werden, einen Mindestbeitrag zur Finanzierung von Prämienverbilligungen zu entrichten. Die Kantone sollen zudem festsetzen, welchen Anteil die Prämie am verfügbaren Einkommen ausmachen darf. Der Gegenvorschlag nimmt also die Kantone stärker in die Pflicht. Er würde den Versicherten eine Entlastung von insgesamt 360 Millionen Franken bringen. Gemäss Ueli Egger reicht dies aber bei Weitem nicht aus, um die Bevölkerung wirksam zu entlasten. «Dieser Gegenvorschlag deckt gerade einmal ein Prozent des Prämienvolumens ab», sagt er.

Gute Chancen?

Die Frage bleibt aber, ob mit einer solchen Massnahme die Probleme im Gesundheitswesen wirklich gelöst werden. Wenn weniger Geld in die Krankenkassen einbezahlt wird, fehlt diesen Mittel, um die Kosten zu decken. Gleichzeitig senkt die Vorlage nicht die Kosten im Gesundheitswesen, sondern bekämpft eigentlich lediglich das Symptom. «Die Krankenkassenprämien sind eigentlich eine Steuer», sagt Ueli Egger. Eine sehr ungerechte Steuer, weil es eine Kopfsteuer sei: «Millionäre und Millionärinnen bezahlen gleich viel wie der Teil der Mittelschicht, welcher keine Prämienverbilligungen hat.» Und: «Der Staat fordert diese Steuer ein, private Versicherungen legen deren Höhe fest, die politische Kontrolle fehlt.» In fast allen EU-Ländern würden 80 Prozent der Gesundheitsausgaben hauptsächlich durch Steuern und Lohnbeiträge finanziert. Zudem brauche es gleichzeitig natürlich auch Bemühungen, um die Kosten zu senken. Dabei steht für ihn eine Stärkung der Hausarztmedizin an erster Stelle. Die Grundversorgung und die Prävention müssen für ihn gleich gut entschädigt werden wie die Spezialmedizin. Zudem sieht er Sparpotenzial bei der Pharmaindustrie: «Wir bezahlen in der Schweiz für patentgeschützte Medikamente fünf Prozent und für Generika fünfundvierzig Prozent mehr als im Ausland». Mit einem breit genutzten elektronischen Patientendossier und einer besseren Koordination zwischen den Kantonen könnten Doppelspurigkeiten vermieden werden.

Die Chance der Initiative, an der Urne angenommen zu werden beurteilt Ueli Egger als «recht gut». Denn viele Menschen hätten erkannt, dass der Mittelstand unbedingt entlastet werden müsse. Viele Leute seien zurzeit finanziell unter Druck, und er hofft darauf, dass all diese abstimmen gehen. Denn: «Wir wollen keine Zweiklassenmedizin, sondern eine optimale Gesundheitsversorgung für alle.»


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