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Kein Wort über die niederschmetternde Bilanz

Initiative für eine sichere Ernährung • Pestizide, Gülle und das giftige, stickstoffhaltige Gas Ammoniak aus der übermässigen Produktion von
tierischen Lebensmitteln zerstören unsere Böden – und damit unmittelbar unsere Ernährungssicherheit.

| Sonja Laurèle Bauer | Gesellschaft
Sprossen
Auf 60 Prozent der Ackerflächen wird Futter für Nutztiere angebaut. Obwohl sie mit dem Anbau von pflanzlichen Lebensmitteln mehr Kalorien für die Menschen produzieren könnten. Hier Sojasprossen. zvg

«Die Bilanz der staatlichen Eingriffe in unser Ernährungssystem ist niederschmetternd. Der Bundesrat schweigt dazu», sagt Franziska Herren, Initiantin der «Initiative für eine sichere Ernährung». »So wie auch die staatlich finanzierte Werbung für Schweizer Fleisch, Eier, Milch.»

Zur Hälfte vom Ausland abhängig

An der Medienkonferenz zur Volks­initiative «Für eine sichere Ernährung – durch Stärkung einer nachhaltigen inländischen Produktion, mehr pflanzliche Lebensmittel und sauberes Trinkwasser» habe der Bundesrat die niederschmetternde Bilanz der staatlichen Eingriffe in unser Ernährungssystem mit keinem Wort erwähnt, so Herren. «Die weitreichenden schädlichen Folgen der heutigen Agrarpolitik für unsere Ernährungssicherheit und Trinkwassersicherheit werden verschwiegen. Zudem lehnt der Bundesrat die Initiative ohne Gegenvorschlag ab.»
Gesunde Böden mit hoher Bodenfruchtbarkeit sorgten für hohe und stabile Ernten und sauberes Trinkwasser «und sichern damit unsere Existenz und die Existenz der Bauernfamilien». Wie die Landwirtschaft die Böden bewirtschafte, ob in Monokulturen oder mit nachhaltigen Anbausystemen wie Mischkulturen, Agroforstwirtschaft, regenerativer Landwirtschaft, sei entscheidend für die sichere Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und sauberem Trinkwasser. «Nachhaltige Anbausysteme sind zudem resistenter gegen wachsende Produktionsunsicherheiten infolge von Klimaextremen wie Hitze und Wasserknappheit oder Starkregen.» Monokulturen seien von Pestiziden und Kunstdünger abhängig. «Sie verringern die Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität mehr und mehr. Das wirkt sich negativ auf die Ernteerträge aus und gefährdet damit unsere Ernährungssicherheit.»

Steuergelder falsch eingesetzt

Nachhaltige Anbausysteme hingegen produzierten mit einer hohen Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität über und im Boden. Sie sicherten und steigerten die Erträge mit einem natürlichen Pflanzenschutz und einer natürlichen Düngung, ersetzten so Pestizide und Düngemittel und sorgten für sauberes Trinkwasser.
Entscheidend für unsere Ernährungssicherheit sei zudem, welche Kulturen die Landwirtschaft auf den Ackerböden anpflanze. Heute produziere die Landwirtschaft auf 60 Prozent der Ackerflächen Futter für Nutztiere wie Mais, «obwohl sie mit dem Anbau von pflanzlichen Lebensmitteln viel mehr Kalorien für die Menschen produzieren könnte. Dies ist auf die heutige Agrarpolitik zurückzuführen, die die Produktion von tierischen Lebensmitteln fünfmal mehr mit Steuergeldern fördert als pflanzliche.»

Schweiz dadurch vom Ausland abhängig

Dieser Futteranbau stehe in direkter Konkurrenz zur menschlichen Ernährung und sei die Hauptursache dafür, «dass unsere Lebensmittelversorgung zu mehr als 50 Prozent vom Ausland abhängig ist», so Herren. «Wenn Importe wegfallen, ist die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln so nicht gewährleistet.»
Davor habe auch der Bauernverband gewarnt: «Ein Krieg in einem wichtigen Exportland oder ein Jahr mit Wetterextremen reichen, damit die ausreichende Versorgung aller Menschen auf dieser Welt nicht mehr gewährleistet ist.»

Wir töten 83 Millionen Tiere im Jahr

«Mit Importfutter wird die Produktion von tierischen Lebensmitteln zusätzlich angeheizt», so Herren. «83 Millionen Nutztiere hat die Schweiz im vergangenen Jahr geschlachtet, die zur Hälfte mit Futter aus dem Ausland ernährt werden.»
Die Folgen seien verheerend: «Die seit 16 Jahren in den Umweltzielen der Landwirtschaft festgelegten Höchstwerte für Dünger werden massiv überschritten. Riesige Güllemengen, das giftige, stickstoffhaltige Gas Ammoniak und hohe Phosphoremissionen überdüngen flächendeckend die Schweiz und zerstören die Bodenfruchtbarkeit, die Biodiversität, die Gewässer, die Seen, das Trinkwasser und damit die Lebensgrundlagen der Landwirtschaft und unserer Gesellschaft. Die Produktion von tierischen Lebensmitteln verursacht durch giftige Ammoniak­emissionen mehr Luftschadstoffe als Verkehr, Industrie und Haushalte zusammen!»

Die Folgen sind längst spürbar

Nach dem Baldegger-, Hallwiler-, Sempacher- und Greifensee müsse nun auch der Zugersee wegen zu viel Gülle auf die «Intensivstation» und künstlich beatmet werden. «Und immer mehr Trinkwasserfassungen müssen wegen zu viel Nitrat und Pestizidrückständen geschlossen werden.»
Die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz schreibt in einem Faktenblatt: «Um die Biodiversität, Waldfunktionen und Gewässerqualität zu erhalten, die menschliche Gesundheit zu schützen und den Klimawandel nicht weiter anzutreiben, müssen die Stickstoff- und Phosphorüberschüsse sowie -emissionen dringend deutlich reduziert werden.» Dafür brauche es gemäss Akademie auch die Förderung pflanzlicher gegenüber tierischen Nahrungsmitteln sowohl beim Konsum als auch bei der Produktion.
Doch die Agrarpolitik sorge für keine Anpassung der Produktion von tierischen Lebensmitteln, so Herren. Im Gegenteil: «In den vergangenen 16 Jahren wurde die Produktion von tierischen Lebensmitteln mit Importfutter weiter erhöht. Wurden 2008 noch eine Million Tonnen Futter importiert, sind es heute 1,3 Millionen Tonnen. Wir zerstören unsere Ernährungssicherheit durch den Einsatz von Pestiziden, das Überschreiten der Höchstwerte für Dünger und durch die übermässige Produktion von tierischen Lebensmitteln.»

Aus der Region für die Region

Die Initiative «Für eine sichere Ernährung» verlangt daher vom Bund die Einhaltung der Höchstwerte für Dünger und dass er einen Netto-Selbstversorgungsgrad von mindestens 70 Prozent anstrebt. Dafür soll der Anbau von mehr pflanzlichen Lebensmitteln «aus der Region für die Region» auf den Schweizer Ackerflächen gefördert werden, statt Futtermittel. Ausserdem sollen die Produktionsgrundlagen der Landwirtschaft – Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität – sichergestellt werden.
Eine weitere Massnahme, die der Bund für die Erhöhung des Netto-Selbstversorgungsgrads berücksichtigen müsse, sei die Reduktion von Food Waste. «Ein Drittel unserer Lebensmittel landet heute im Müll.»
Mehr pflanzliche Lebensmittel selber anzubauen und zu verarbeiten, statt sie zu importieren, schaffe Arbeitsplätze und generiere die Wertschöpfung vor Ort. «Mit der Erhöhung des Selbstversorgungsgrads schafft die Initiative für die Bauernfamilien Produktionssicherheit und Rahmenbedingungen, unter denen sich die Produktion von pflanzlichen Lebensmitteln lohnt und die sie konkurrenzfähig zu Importen machen.»

2,3 Milliarden Franken versus 0,5

Die Agrarpolitik verhindere dies seit Jahrzehnten: «Indem sie mit unseren Steuergeldern die Produktion und den Konsum von tierischen Lebensmitteln, wie erwähnt, fünfmal mehr fördert als von pflanzlichen: mit 2,3 Milliarden gegenüber 0,5 Milliarden Franken.»
Dies führe dazu, dass, laut Agristat, 64 Prozent der pflanzlichen Lebensmittel, welche die Bevölkerung konsumiert, heute importiert werden müssen. Bei Pflanzenproteinen, wie zum Beispiel Hülsenfrüchten und Nüssen, seien es sogar 98 Prozent. Auch die pflanzlichen Rohstoffe für den Wachstumsmarkt von Fleisch- und Milchersatzprodukten würden fast ausnahmslos importiert, so die Initiantin.
«Durch die Initiativziele wird keine Ernährungsform ausgeschlossen, doch zugunsten unserer Umwelt, unserer Ernährungssicherheit und des Tierwohls eine neue, ausgewogene Balance zwischen der Produktion von tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln hergestellt.»

Antibiotika in unseren Böden

Wie wichtig das sei, zeige auch der hohe Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung. «Es werden sogar Reserveantibiotika in der Nutztierhaltung eingesetzt, da herkömmliche Antibiotika nicht mehr wirken. Antibiotika also, die den Ärzten in der Humanmedizin als letztes Mittel gegen sonst tödliche Infektionen vorbehalten sind.» Forschungsergebnisse zeigten, dass via Gülle lebensbedrohliche antibiotikaresistente Bakterien auf unsere Böden und so in unser Essen und in unser Trinkwasser gelangten. Die Eidgenössische Fachkommission für biologische Sicherheit erklärte 2014 antibiotikaresistente Bakterien zur «grössten Bedrohung für die Gesundheit der Bevölkerung in der Schweiz».
Die Agrarpolitik 2030 (AP30+), mit welcher der Bundesrat laut Medienmitteilung die Anliegen der Initianten angeblich aufgreifen will, sei kein Ersatz für die Initiative. «Das zeigt sich allein schon daran, dass der Bundesrat der Presse und der Bevölkerung die niederschmetternde Bilanz der staatlichen Eingriffe in unser Ernährungssystem verschweigt und keine Verantwortung dafür übernimmt – trotz ihrer weitreichenden schädlichen Folgen für unsere Ernährungssicherheit und unsere Trinkwassersicherheit und für die Produktionssicherheit der Bauernfamilien.» Die Annahme der Initiative «Für eine sichere Ernährung» schaffe eine Win-win-Situation für die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft, für die Bauernfamilien, die Umwelt, das Tierwohl, das Klima. «Sie sorgt dadurch für eine krisensichere Versorgung der Schweizer Bevölkerung mit Lebensmitteln und sauberem Trinkwasser.»




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