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«Unser Beruf ist immer wieder anders»

Umsetzung Pflegeinitiative | Katja Stäuble ist Pflegedienstleiterin in der Senevita Bern. Sie ist eine, die weiss, was es bedeutet, in der Langzeitpflege
tätig zu sein. Warum es sich lohnt, gerade junge Menschen für diesen Beruf zu begeistern. Und wie es gelingen kann, die Pflegeberufe attraktiver zu gestalten.

Person erklärt
Katja Stäuble entwickelte ein spezielles Mentoringprogramm für junge Pflegefachkräfte. Sie ist Pflegedienstleiterin in der Senevita Wangenmatt Bern. Bild: zvg

 Das starke Wachstum der älteren Bevölkerung verursacht einen hohen Bedarfsanstieg in den Alterspflegeheimen. Nicht nur der steigende Bedarf an Pflege­betten stellt eine Herausforderung dar, sondern auch die Tatsache, dass Menschen öfter erst in hohem Alter ins Altersheim gehen. Die Anforderungen an das Pflegepersonal steigen, was den Beruf komplexer, aber auch spannender macht.

Katja Stäuble ist Pflegedienstleitende in der Senevita Wagenmatt in Bern. Seit fast 40 Jahren arbeitet sie als Pflegefachfrau: acht Jahre nun in der Langzeitpflege und vorher 29 Jahre lang in der Akutpflege. Sie kennt die Anforderungen an die Akutpflege und weiss, worin sich die beiden Berufsbilder unterscheiden. Die erfahrene Pflegefachfrau setzt sich aus­serdem dafür ein, in Alters- und Pflegeheimen Mentoringprogramme für junge Fachangestellte Gesundheit (FAGE) einzuführen. Sie ist überzeugt, dass die erhöhte Professionalisierung des Berufs, die zunehmende Komplexität der Krankheitsbilder, die vielfältigen Kulturen der Kolleginnen und Kollegen sehr attraktiv für junge Leute sein können, die sich neu für einen Beruf entscheiden müssen. 

Vorsicht beim Erstellen der Dienstpläne

Frau Stäuble, durch die Digitalisierung und den bürokratischen Mehraufwand sind die Pflegefachpersonen heute nicht selten weniger nahe am Patienten. Die Zeit fehlt überall. Die jungen Menschen, die sich für den Beruf entschieden, werden stark gefordert, nicht selten überfordert. Aufgrund des akuten Fachkräftemangels müssen sie oft länger arbeiten oder gar ihre Freitage dafür hergeben. Zudem fehlt die Anerkennung. Nicht nur von aussen, sondern manchmal auch von den Betrieben her. Wie sehen Sie dies? Katja Stäuble: «Die Frage stellt sich für mich so: Wie kann man junge Menschen heute für den Beruf begeistern? Wie kann man sie im Beruf halten? Seit zwölf Jahren haben Spitäler, Heime und Spitex-Organisationen eine Ausbildungsverpflichtung, die sie wahrnehmen. Nun geht es aber neu darum, nicht nur diese Verpflichtung umzusetzen, sondern dafür zu sorgen, die Jugendlichen nicht zu verschleissen.» Was braucht es dazu? «Die jungen Menschen, die im Altersheim arbeiten, wollen mehr Verantwortung tragen. Sie wollen mitbestimmen. Auch wann und wo sie arbeiten. Deshalb ist das Erstellen der Dienstpläne zentral!», so Stäuble. Die Arbeitgebenden müssten flexibel sein, sodass zum Beispiel auch junge Mütter angesprochen würden, die nur den halben Tag arbeiten könnten. «Die Planung ist ein wesentlicher Teil.» Was das Einsetzen der jungen Menschen aufgrund des Fachkräftemangels betrifft, sagt Stäuble: «Die Auflagen sind streng. Wir in der Senevita schauen darauf, dass das Arbeitsgesetz fest eingehalten wird. Man darf die jungen FAGEs nicht vor den Kopf stossen, sonst gehen sie. Wir wollen, dass sie bleiben.» Sie bräuchten Begleitung. Nicht nur in der Schule, sondern auch in Bezug auf andere Fragen, die das Berufsleben und die Berufsbildung beträfen: «Wie gehe ich mit der Freizeit um, wo kann ich Energie tanken. Esse ich genug, trinke ich genug?» Dies seien Themen, die auch an Teamsitzungen Thema seien. «Geschieht dies nicht, hat es negative Auswirkungen auf den Umgang mit den Bewohnenden in der Langzeitpflege oder den Patientinnen und Patienten in der Akutpflege.» Auch deshalb liege ihr die Bildung so am Herzen, so Katja Stäuble. Jeden Monat organisiert sie einen puren «Theorie-Transfer-Nachmittag» mit den jungen FAGEs. «Dabei werden keine Schulthemen behandelt, sondern das, was die Pflegefachpersonen in der Praxis betrifft; gekoppelt mit Theorie. «Es gilt doch, das Verständnis zu fördern, für das ganze berufliche Karussell.» Schliesslich gebe es Probleme, die nicht allein die Pflege beträfen. Wie zum Beispiel eine Mitarbeiterin in einer IV-Integration. Oder wie man mit jemandem umgehe, die oder der dauernd zu spät komme. «Es gilt, auch den Umgang mit Lebensthemen zu besprechen.» So hätten die FAGE-Lernenden regelmässige Sitzungen, die Betreuenden schauten die persönlichen Gespräche rückwirkend nochmals an. «Was beschäftigt sie, wie gehen sie mit den diversen Themen um, wie ist ihre Stellung im Team? Wie verhalten sie sich in den verschiedenen Situationen?» Es gehe nicht allein um das Fachtechnische, betont Stäuble. «Sondern auch um ihre Sozialkompetenz und ihre Entwicklung als Mensch. Heute dürften junge Menschen bereits mit 16 Jahren in den Beruf einsteigen. Früher mit 18 : «Das ist schon ein Unterschied. Gerade in dem Alter. Der Beruf erfordert eine gewisse Reife. Wenn wir sehen, dass bei einer oder einem Lernenden die Reife für die Ausübung einer bestimmten Handlung fehlt, dann bremsen wir schon.» Auch deshalb müssten die Lernenden Lern-Journale führen. «Um zu reflektieren. Um zu sehen, ob sie parat sind, dies oder jenes zu tun.» 

Langzeit- versus Akutpflege 

Der Unterschied einer oder eines FAGE im Altersheim und einer im Spital sei riesengross. «Sowohl von der Aufmerksamkeit als auch von der Ausbildung her.» Die diplomierten Pflegefachpersonen arbeiteten oft in der Akutpflege. «Die FAGEs in der Langzeitpflege aber müssen zudem das Feingefühl haben, nicht nur nach Vorschrift zu agieren, sondern auch eigenverantwortlich: Sie müssen zupacken, sich etwas zutrauen, die Fähigkeit haben, schnell eine Situation einzuschätzen und reagieren zu können.» Dadurch dass die Menschen heute länger zu Hause blieben und deshalb beim Eintritt ins Altersheim älter seien als früher, stiegen auch die Anforderungen an die Pflegefachkräfte. «Jene alte Menschen, die heute eintreten, tun dies meistens notfallmässig, aufgrund der physischen Abhängigkeit. Sie haben nicht, wie früher, schon Monate im Voraus ein Bett reserviert.» Diese steigenden Anforderungen an uns sind eine grosse Herausforderung.» Die Zeit sei knapper bemessen, alles müsse schneller gehen. Deshalb bräuchten Pflegende in der Langzeitpflege eine gute Beobachtungsgabe. Denn die Abgabe von Medikamenten sei aufgrund des Personal- und Zeitmangels zunehmend. «Es braucht Arbeitskräfte, die schnell wahrnehmen, damit reagiert werden kann. Es gibt nicht genügend diplomiertes Personal, deshalb ist auch das Weiterleiten von Information ein zentraler Punkt.» Pflegende müssten erkennen, wenn sich an einer Bewohnerin etwas verändert. Zum Beispiel das Atmen. «Das darf nicht ignoriert werden.» 

Die neuen Computerprogramme seien Segen und Fluch, so Katja Stäuble. «Manchmal kommt es einem vor, als seien wir nur noch vor dem Computer.» Es gebe viel zu dokumentieren, Qualitätszahlen zu liefern. Jede Mitarbeiterin habe ein Handy, wo die Pflege-Dokumentationen abrufbar seien. Dies wiederum könne eine Erleichterung sein. Das Problem: Viele der Pflege-Helfenden kämen aus dem Ausland. «Für sie stellt die Digitalisierung eine Herausforderung dar.» So komme es, dass die weniger gut Ausgebildeten weniger, die gut Ausgebildeten mehr schreiben müssten. «Das bringt das Verhältnis ins Wanken.» Wie auch das Einstellen teurer, temporärer Fachkräfte. Nichtsdestotrotz: Gefragt sei nicht nur der IQ. «Wir brauchen junge Menschen in der Pflege, die über emotionale Intelligenz verfügen. Sie nähern sich den alten oder pflegebedürftigen Menschen herzlicher an, bauen schnell eine Beziehung zu ihnen auf.» Was aber hält die jungen Pflegenden sonst noch im Beruf? «Aufgehobensein», sagt Katja Stäuble prompt. «Vertrauen, Verantwortung.»


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