Politische Schubladen
Links und Rechts | Obschon die Kommode politischer Einstellungen immer wieder aufs Neue in die Kritik gerät, scheint sie sich im politischen Alltag zu bewähren. Zumindest wenn es nach Grossrätinnen und Grossräten aus der Region geht.
Vor mehr als 200 Jahren ergab sich die Einteilung politischer Denkweisen in politisch links und politisch rechts. Die Sitzordnung im französischen Parlament nach der französischen Revolution zeigte sich dergestalt, dass rechts vom Präsidenten die Vertreter der alten Ordnung sassen. Links nahmen jene Platz, die sich für Veränderungen einsetzten. Die politischen Richtungen beschreiben somit die Einstellungen, Normen und Werte einer Person, Partei oder Organisation.
Sitzordnung mit Bedeutung
Traditionsgemäss setzen sich Linke somit für Veränderungen und Fortschritt ein, das grosse Ziel liegt in der Gleichberechtigung aller Menschen, gesellschaftliche Verhältnisse gilt es anzugleichen. Konkret impliziert das eine Rücksicht auf sozial Schwächere, Solidarität steht im Zentrum.
Rechte hingegen halten historisch gesehen eher fest an Traditionen, Regeln, Werten und Ordnung. Sie wollen klare Strukturen und sehen gesellschaftliche Unterschiede als natürlich und wünschenswert. Hier stehen die Freiheit und Leistung des Einzelnen im Mittelpunkt. Damit markiert die Unterscheidung in links und rechts einen sozioökonomischen Verteilungskonflikt. Die linke Seite setzt sich für eine soziale Gleichheit ein, während die rechte Seite die Marktfreiheit als oberstes Gebot sieht, und damit die Verantwortung beim Einzelnen.
Mit dieser stark vereinfachten Unterscheidung gelang die Beschreibung politischer Gegensätze.
Dazwischen befand sich die politische Mitte. Hinter der Mitte steckte keine ausgeprägte Wertehaltung. Sie versuchte jeweils, so viele Menschen wie möglich anzusprechen. Dafür rutschte sie das eine Mal eher nach rechts, zu einem späteren Zeitpunkt wieder mehr nach links.
Gerade während der vergangenen Jahre wurden diese Schubladen morsch, zumindest was ihren Ruf anbelangt. Nicht wenige nehmen davon Abstand, sich als politisch links oder rechts zu bezeichnen, weil die beiden Begriffe gerade auch in den sozialen Medien häufig eine negative Bedeutung erhielten. Man denke hier an Formulierungen wie links oder rechts «versifft», oder das linke oder rechte «Pack». Im politischen Alltag bewährt sich aber die Unterteilung anscheinend immer noch.
Der «Berner Landbote» hat bei Grossrätinnen und Grossräten aus der Region nachgefragt. Verschiedene Antworten kamen zusammen.
Entgegenkommen und Miteinander
Gemäss der Grossrätin Katharina Baumann (EDU) spielt die Kategorisierung in politisch rechts und links eine grosse Rolle, da oft leider nicht lösungsorientierte Sachpolitik im Vordergrund stehe, sondern schlicht Parteienpolitik. Die Unterteilung sei wichtig, weil sich durch sie «gelebte Demokratie zwar langsam, aber ausgeglichen zeigt». Zwar werde manchmal hart politisiert, so Baumann, doch sie schätze gute Beziehungen in alle Richtungen sehr. Denn: «Umsetzbare Lösungen finden sich nur durch Entgegenkommen und Miteinander.»
Verständnis von Freiheit
Für Grossrat Ueli Egger (SP) spielt die Schubladisierung an sich keine Rolle. «Im Alltag ist es einfach so, dass wir Linken einen anderen Freiheitsbegriff haben», so Egger. Damit Menschen frei leben könnten, bräuchten sie eine gute Grundversorgung durch den Staat und ein genügendes Einkommen. Für rechte Parteien gelte es, den Staat möglichst zu schwächen, damit das Individuum sich wirtschaftlich so frei wie möglich entwickeln könne.
Es sei für die Gesellschaft als Ganzes verheerend, so Egger weiter, wenn die Solidarität unter den Gesellschaftsschichten abgebaut werde und alle nur noch für sich selbst oder ihre Interessengruppen kämpften. «Bankgeheimnis, Steuersenkungen und steuerfreie Kapitalgewinne machen die Reichen immer reicher und spalten die Gesellschaft.»
Gleichwohl schaffe das Links-rechts-Denken an sich keine Gräben. «In den Nachkriegsjahren setzten sich Arbeitgeber unter Führung der FDP und Arbeitnehmer unter der Führung der SP zusammen und handelten Lösungen aus, die dem ganzen Land und der Gesellschaft Wohlstand brachten», sagt Egger. Dies sei im Wissen beider Seiten geschehen, dass gute, gerechte Löhne, gute Bildung und eine funktionierende Gesundheits- und Sozialversorgung die Wirtschaft ebenso förderten wie eine möglichst liberale Wirtschaftsordnung. Im Ringen von links und rechts sei es darum gegangen, ein Gleichgewicht von wirtschaftlicher Freiheit und sozialer Absicherung zum Wohle aller zu finden. «Aus meiner Sicht fanden und finden heute immer noch KMU und Gewerkschaften miteinander sehr gute und moderne Lösungen», so Egger.
In den letzten Jahrzehnten habe sich aber ein neues liberales Wirtschaftsverständnis aus der angelsächsischen Welt in der Schweiz entwickelt. «Grosskonzerne trieben die Managergehälter in ungeheure und ungesunde Höhen», sagt Egger, «sogar soziale Einrichtungen wie Krankenkassen zahlen ihren CEOs mehr, als ein Bundesrat verdient».
Die ursprünglich bodenständige, staatstragende und gewerbenahe SVP sei nun auf einen wirklich rechten Kurs geraten. Anstelle davon, Lösungen für unsere Probleme suchen zu helfen, habe sie alle Probleme auf die Ausländerinnen und Ausländer abgeschoben. «Die Bauern und Gewerbler verteidigen heute alles, was den Reichen dient», sagt Egger, «dazu gehören Steuersenkungen, Rentenabbau, Bankgeheimnis und Reallohnsenkungen». Nicht das Links-rechts-Denken schaffe die Gräben, sondern eine einseitige Betrachtung des Freiheitsbegriffs.
Lagerdenken
Gemäss Grossrat Thomas Hiltpold (Grüne) dient die Zweiteilung in links und rechts als grobe Weichenstellung für eine Schnelleinordnung von politischen Themen. «Sie sollte aber den vertieften Blick auf die Sachfragen nicht verhindern», sagt Hiltpold, «da gibt es glücklicherweise, wenn auch seltener, Mehrheiten ausserhalb des Links-rechts-Schemas.»
Gleichwohl fördere die politische Zweiteilung in zwei Lager das sture Grabendenken und verhindere dadurch bessere Lösungen. Hiltpold schätzt Politikerinnen und Politiker, die auch mal gegen die eigene Fraktion «der Gegenseite die Hand zu einem Kompromiss reichen». Das brauche aber Standfestigkeit und Unabhängigkeit.
Erlebte Realität
Für den Grossrat Samuel Krähenbühl (SVP) spielt die Einteilung in links und rechts eine grosse Rolle. In vielen Politbereichen gebe es klar unterschiedliche Haltungen zwischen bürgerlich-freiheitlichen Ansichten auf der einen und staatsgläubigen-interventionistischen Ansichten auf der anderen Seite. «Beispielsweise in der Finanzpolitik, in der Wirtschaftsordnung, aber auch generell in der Ordnungspolitik», zählt Krähenbühl auf. Auch bezüglich Fragen der öffentlichen Sicherheit oder der Bildungspolitik seien die Bürgerlichen sich häufig einig. «Einzig in der Gesellschaftspolitik durchmischen sich die Grenzen etwas», so Krähenbühl.
Die Unterscheidung in links und rechts sei insofern wichtig, als dass sie eine erlebte Realität sei. Kontroverse Abstimmungen sowohl in den Kommissionen wie auch im Plenum des Grossen Rats verliefen in den meisten Fällen zwischen den Lagern links und rechts. «Auch politische Absprachen in Sachgeschäften erfolgen meistens innerhalb des eigenen Lagers», sagt Krähenbühl.
Gemäss Krähenbühl sei die Links-rechts-Einteilung kein Denken, sondern einfach eine Tatsache. «Mir wäre es auch lieber, wenn wir nicht ständig gegen linke Anliegen wie höhere Staatsausgaben, höhere Steuern, mehr Bürokratie, neue Gesetze und Vorschriften kämpfen müssten», sagt er. «Da aber die Linke nicht gewillt ist, von ihren Positionen abzurücken und wir auch unsere freiheitliche, bürgerliche Position nicht aufgeben wollen, gibt es halt manchmal Gräben.» Es gehöre zum Wesen der Demokratie, dass man sich eine Meinung bilde und dann ausmehre.
Vereinfachung
Im Politikalltag ist die Links-rechts-Einteilung gemäss Grossrätin Katharina Ali-Oesch (SP) eine Vereinfachung der politischen Grundhaltungen. In diesem Sinne gehöre sie «ganz klar zu einem Block» und sei sozusagen mit «links» angeschrieben. Auch mit der klaren Sitzordnung im Rathaus werde sichtbar unterstrichen, zu welcher Partei beziehungsweise zu welchem politischen Block man gehöre.
Ali-Oesch sieht darin einen Vorteil für Wählende: «Für Wählerinnen und Wähler ist es einfacher, sich für eine politische Ausrichtung zu entscheiden.» Andererseits schaffe die Zuordnung Stereotypen, die den Politikerinnen und Politikern verschiedenster Parteicouleur nicht gerecht würden. «Das Individuum verschwindet in der Masse und wird nicht differenziert als Mensch wahrgenommen», so Ali-Oesch. Das liege auch in der Natur der Legislative, wo die Parteizugehörigkeit relevant und mit dem Proporzwahlsystem gewollt sei. «Da ich ebenfalls Exekutivpolitikerin bin, mache ich auch andere Erfahrungen», sagt Ali-Oesch, «da zählt Persönlichkeit mehr.»