Falsche Anreize bei Nahrungsmitteln
Recherche | Eine Studie der «Kalaidos Fachhochschule Schweiz» kommt zum Schluss, dass unterschiedliche Ernährungsweisen finanziell unterschiedlich begünstigt werden. So fliessen die meisten Subventionen in die Fleischproduktion, währenddem pflanzliche Ernährung im Vergleich zu teuer ist.
«Klimawandel, Umweltbelastungen und Artensterben zwingen uns als Gesellschaft, auch im Bereich Landwirtschaft und Ernährung die heutigen Spielregeln zu überdenken», schreiben Felix Schläpfer und Markus Ahmadi in der Einleitung ihrer Studie «Kostenwahrheit in Landwirtschaft und Ernährung». Die Studie wurde von der «Kalaidos Fachhochschule Schweiz» unter der Projektleitung von Felix Schläpfer durchgeführt. In Auftrag gegeben wurde die Studie von der Denkfabrik «Vision Landwirtschaft». Sie kam im Wesentlichen zum Schluss, dass Fleischkonsumenten dem Bund und der Allgemeinheit am stärksten auf der Tasche liegen. Doch zuerst muss geklärt werden, was Kostenwahrheit denn überhaupt bedeutet.
Verschiedene Faktoren
Will man die Vollkosten von Nahrungsmitteln berechnen, fliessen verschiedene Faktoren mit ein. Dies sind die Produktionskosten der Landwirtschaft, darin eingeschlossen die Arbeitskosten der Produzenten sowie deren Kapitalkosten für Boden, Gebäude, Maschinen oder Futtermittel. Hinzu kommen Kosten für Verarbeitung, Transport und Verkauf. Die Studie geht in ihren Berechnungen aber noch einen Schritt weiter, indem die Kosten durch Nebeneffekte von Produktion und Konsum miteingeschlossen werden. Dies sind etwa Kosten für den Ersatz von belasteten Trinkwasserquellen oder Kosten, die durch Qualitätseinbussen beim Trinkwasser oder «Empfindungen für das Leid von Tieren» entstehen. Diese Kosten definiert die Studie als «versteckte Kosten der Nahrungsmittel». Dazu gehören etwa Treibhausgasemissionen aus Tierhaltung, Treibstoffen oder Düngerherstellung. Aber auch Nitrat- und Phosphorauswaschung ins Wasser sowie die Folgen der Verwendung von Pestiziden werden dazu gezählt.
Umweltbelastung kostet
Um die Kosten der Umweltbelastungen zu berechnen, gibt es gemäss der Studie verschiedene Ansätze. Der erste Ansatz ist, dass man bestimmt, wie viel Geld der Staat durchschnittlich aufwendet, um die Emissionen zu vermindern. Oder man berechnet, wie viele schädliche Emissionen tatsächlich ausgestossen werden. Bei den Umweltbelastungen schlägt der Stickstoffüberschuss mit 59,4 Kilogramm pro Hektar am meisten zu Buche, gefolgt von Ammoniakemissionen von 35,2 Kilogramm pro Hektar. In Franken ausgedrückt betragen die Umweltkosten bei der Nahrungsmittelproduktion in der Schweiz 0,41 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Dies entspricht 3,01 Milliarden Franken.
Hinzu kommen die Subventionen, die an die Landwirtschaft gehen. Hier gibt es einerseits Subventionen für gemeinwirtschaftliche Leistungen sowie Subventionen für die Nahrungsmittelproduktion. In der Schweiz beträgt die Gesamtsumme der Subventionen an die Landwirtschaft 3,8 Milliarden Franken. 74 Prozent davon sind Subventionen, welche direkt in die Nahrungsmittelproduktion fliessen.
Ungleiche Verteilung
Die nächste Frage ist, wer diese Kosten tatsächlich trägt. Sind dies wirklich die Endverbrauchenden? Zu Recht wirft die Studie die Frage auf, wie es sein kann, dass ein Kilogramm Fleisch heute im Supermarkt weniger kostet als ein Kilogramm frische Bohnen. Gemäss der Studie gibt es drei hauptsächliche Kostenträger. Dies sind die Verbraucher und Verbraucherinnen, die einen gewissen Preis für ein Produkt zahlen, die Steuerzahlenden, welche die Subventionen berappen, sowie die Allgemeinheit, die für die Umweltschäden aufkommt. In der Schweiz tragen die Verbraucherinnen und Verbraucher bei Fleisch und Milchprodukten weniger als die Hälfte der effektiven Kosten. Den grössten Anteil der Kosten für Fleisch bezahlen die Allgemeinheit und die Steuerzahlenden mit einem Anteil von 73 Prozent. Lediglich 27 Prozent zahlt der Verbraucher oder die Verbraucherin. Ein erhöhter Fleischkonsum belastet letztendlich also die Allgemeinheit. Bei pflanzlicher Nahrung ist es beinahe umgekehrt. Hier übernimmt der Verbraucher oder die Verbraucherin 71 Prozent der Kosten, der Rest geht zu Lasten der Steuerzahlenden und der Allgemeinheit.
Nachhaltigkeit benachteiligt
Fazit: Verschiedene Ernährungsstile verursachen unterschiedlich hohe Belastungen für Umwelt und Gesellschaft. Sie werden zudem über Subventionen unterschiedlich stark gefördert und begünstigt. «Die unterschiedliche Förderung der Ernährungsstile bewirkt eine Umverteilung von bescheidenen und nachhaltigen hin zu anspruchsvollen und wenige nachhaltigen Ernährungsstilen», so die Studie. «Eine Person mit nachhaltigem Ernährungsstil wird via Abgaben gezwungen, den nicht nachhaltigen Ernährungsstil anderer Personen zu subventionieren», so die Studie weiter. Für Steuerzahlende und die Allgemeinheit am wenigsten zu Buche schlägt demnach ein veganer Ernährungsstil, gefolgt von einem «ovo-lacto-vegetarischen» Ernährungsstil, der am zweitwenigsten Kosten für die Allgemeinheit verursacht. Die meisten Kosten für die Allgemeinheit verursachen fleischbetonte und proteinbetonte Ernährungsstile. Das heisst im Klartext: Wer einen bewussten Umgang mit Fleisch pflegt, entlastet damit die Gesellschaft. Eine solche Person tut also nicht nur etwas für die Umwelt, sondern minimiert die Kosten für die Nahrungsmittelproduktion, welche die Gesellschaft trägt.
Umweltschäden und Tierleid
Die Studie ortet verschiedene Probleme und Folgeprobleme dieser fehlenden Kostenwahrheit. So habe dies im Wesentlichen zwei Auswirkungen: Falsche Anreize und Verschwendung sowie Ungerechtigkeiten in Form von einem unfairen Wettbewerb sowie der Ungleichbehandlung von Konsumenten bzw. Konsumentinnen und Steuerzahlenden. Zur Verschwendung kommt es gemäss der Studie, weil aufgrund der Marktverzerrung mehr Nahrungsmittel nachgefragt und hergestellt werden, als dies bei einer Kostenwahrheit der Fall wäre. Die Verbrauchenden verursachen zudem mehr Umweltschäden und Tierleid, als die Gesellschaft eigentlich will. Zudem – und das scheint besonders wichtig – verleite die starke finanzielle Begünstigung tierischer Nahrungsmittel zu weniger gesunden Ernährungsstilen. Denn gemäss der Studie würden die Verbraucherinnen und Verbraucher von sich aus anders wählen, wenn die Preisstruktur eine andere wäre.
Politik mit drin
Die aktuelle Situation führt gemäss der Studie auch dazu, dass unter den Produzenten und Produzentinnen ein unfairer Wettbewerb stattfinde. So würden rücksichtslose Produktionsweisen entlastet, während rücksichtsvolle Produktionsweisen benachteiligt würden. Doch auch die Verbraucher würden im aktuellen System auf ähnliche Weise unterschiedlich behandelt: Nachhaltiger Konsum werde durch höhere Preise «bestraft», während umweltschädlicher Konsum «belohnt» werde. Zudem würden alle Steuerzahlenden gleichermassen zu den Subventionen beitragen, «die vorwiegend in tierische Nahrungsmittel fliessen». Dies führe nicht zuletzt auch zu höheren Gesundheitskosten, da eine ungesunde Ernährungsweise Folgen wie Übergewicht und Diabetes nach sich ziehe. Auch die Politik hängt mit drin, indem sie die Rahmenbedingungen für die Subventionen definiert. So verbillige die Landwirtschaftspolitik zwar generell die Kosten für Lebensmittel, besonders ausgeprägt sei dies aber bei der Tierproduktion der Fall. «Die Politik tut also mehr für günstiges Rindfleisch und Würste als für günstige Bohnen und Äpfel», so die Studie.
Verursacherprinzip
Um das Problem zu lösen, schlägt die Studie eine Kostenwahrheit vor, die im Wesentlichen auf zwei Stufen ansetzt: bei der Produktion und beim Konsum. Die Frage dabei ist, mit welchem Ansatz das gewünschte Ergebnis erreicht wird, und was administrativ am einfachsten ist. Beispiel: Um die Emissionen von Treibhausgasen bei der Inlandproduktion zu kompensieren, setzt man am besten beim Produzenten an. Dies mit Abgaben auf Treibstoffen und Düngemittel. Bei importierten Gütern ist dies kaum möglich oder mindestens administrativ sehr aufwendig. Daher schlägt die Studie vor, hier bei den Konsumierenden anzusetzen, indem bei Importeuren und Verteilern Abgaben erhoben werden, die ihrerseits Umweltauswirkungen im Herkunftsland nachweisen. In beiden Fällen können die Kosten theoretisch auf den Endverbraucher bzw. die Endverbraucherin abgewälzt werden. Was letztendlich auch Sinn ergeben würde, denn Ernährungsgewohnheiten lassen sich wohl am effektivsten wie viele andere Dinge über den Geldbeutel steuern.